20 Jahre Notfallseelsorge in Darmstadt-Dieburg

Jubiläum wird am Samstag, 26. Oktober, mit einem Festgottesdienst in Groß-Umstadt gefeiert

Das Leitungsteam der Notfallseelsorge mit Kreisbrandinspektor: Hinten links: Michael Fornoff, Kreisbrandinspektor Heiko Schecker, Susanne Fitz, Heiko Ruff-Kapraun, vorne von links: Margret Eckert, Martina Hakl, Waltraud Langer und Brigitte Lehr.

Am 3. Juni 1998 entgleiste auf der Bahnstrecke zwischen Hannover und Hamburg ein paar hundert Meter vor dem Bahnhof Eschede der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“. Es ist das bislang schwerste Unglück in der Geschichte der Hochgeschwindigkeitszüge: 101 Menschen kommen ums Leben, mehr als 100 werden schwer verletzt. Katastrophenalarm wird ausgelöst. Mehr als 1000 Helfer sind eine Woche lang an der Unglücksstelle im Einsatz.

„Die Massivität des Ereignisses hat dazu geführt, dass man die Belastung der Einsatzkräfte anders wahrgenommen hat“, sagt Pfarrer Heiko Ruff-Kapraun, Leiter der Notfallseelsorge Darmstadt-Dieburg. Das ICE-Unglück brachte einiges ins Rollen. Das damalige Evangelische Dekanat Groß-Umstadt beschloss, das neue Arbeitsfeld Notfallseelsorge einzurichten. 1999 wurde eine halbe Pfarrstelle eingerichtet und mit Pfarrer Winfried Steinhaus besetzt. Die Geburtsstunde der Notfallseelsorge im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Mit einem Festgottesdienst wird nun das 20-jährige Bestehen am Samstag, 26. Oktober, gefeiert.
Anfang der 1990er Jahre waren in Deutschland bereits die ersten Notfallseelsorgesysteme entstanden, in Wiesbaden gründeten evangelische Pfarrer den Verein „Seelsorge in Notfällen“ (SiN). Die seelische Versorgung von Menschen in Unglückssituationen gelangt verstärkt ins Bewusstsein. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) spielt hierbei laut Heiko Ruff-Kapraun eine große Rolle. „Direkt nach Eschede entsteht etwas, was man eine Graswurzelbewegung nennen kann – ohne offizielle Verlautbarung“, sagt Ruff-Kapraun. Die Notfallseelsorgesysteme werden ausgebaut.
2006, fünf Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September und das Jahr, in dem Deutschland Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft ist, gibt es einen weiteren Schub für die Notfallseelsorge. Der Fußballverband Fifa verfügte, dass an jeder Spielstätte – in Frankfurt die Commerzbankarena – eine Notfalllage für 3000 Personen gewährleistet sein müsse, sagt Ruff-Kapraun. Dadurch intensiviert sich die Zusammenarbeit zwischen Notfallseelsorge und Katastrophenschutz. Ein Jahr später, 2007, seien vom Bundesinnenministerium Standards für die psychosoziale Notfallversorgung erarbeitet und im Konsens mit allen aus der Graswurzelbewegung unterschrieben worden. „Damit ist die seelische Notfallversorgung ein verbindlicher Teil in der Rettungskette und es gibt eine Grundlage für die Ausbildung ehrenamtlicher Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger.“ Ruff-Kapraun selbst ist seit 2000 in der Notfallseelsorge in Darmstadt tätig und seit 2014 in Darmstadt-Dieburg.

Erster Einsatz: Steinewerfer von Darmstadt

Seinen ersten Einsatz wird er nie vergessen. Es ist ein Sonntagabend, er hat es sich auf der Couch gemütlich gemacht, als die Alarmierung losgeht. Zwei Jugendliche haben in Darmstadt von einer Brücke aus Steine auf die Karlsruher Straße geworfen. Zwei Frauen sterben. Zwei Todesnachrichten müssen überbracht werden. Sein schwerster Einsatz in Darmstadt-Dieburg ist ein Verkehrsunfall in Habitzheim, bei dem eine Frau ums Leben kommt. Der Vater der 13 und 16 Jahre alten Mädchen ist schon länger tot. Jetzt verlieren sie auch noch ihre Mutter. Wie geht man mit so viel Schmerz und Leid um? Heiko Ruff-Kaprauns wichtigster Grundsatz lautet: „Lege ein Ohr an den Boden, dann ist das andere offen für den Himmel.“ Will sagen: Hinhören, hinschauen, sich demütig zeigen vor dem Geschehen und dabei die Ressourcen des anderen erspüren.
Seit 2007 arbeiten im Landkreis Ehrenamtliche in der Notfallseelsorge. Als Heiko Ruff-Kapraun die Notfallseelsorge in Darmstadt-Dieburg 2014 übernimmt, baut er das ehrenamtliche Team systematisch aus. 2015 kommt mit Susanne Fitz eine hauptamtliche Beteiligung von katholischer Seite dazu. 2017 geht die Einsatznachsorge, also die Akuthilfe für Retter nach seelischen Belastungen, an den Start. 2018 werden auch Leitungsaufgaben ins Ehrenamt übertragen. Heute beraten sich fünf Personen mit dem Leiter Heiko Ruff-Kapraun und Susanne Fitz in allen Belangen um die Teamarbeit mit 30 Ehrenamtlichen und die Organisation der Rufbereitschaften und Betreuungen im Notfall. Nach 20 Jahren schaut die Notfallseelsorge Darmstadt-Dieburg auf die Erfahrung von 2000 Betreuungen zurück. „Jede Situation fordert uns neu mit Herz und Sinnen, ist einmalig“, sagt Ruff-Kapraun. Und die Perspektive? „Seelische Betreuung in der Not braucht viele besondere Menschen im Ehrenamt. Ich danke dafür, dass es immer jemanden in der Rufbereitschaft gibt. So soll es bleiben.“

Der Festgottesdienst zum 20-jährige Bestehen der ökumenisch ausgerichteten Notfallseelsorge im Landkreis Darmstadt-Dieburg wird am Samstag, 26. Oktober, 10 Uhr, in der evangelischen Stadtkirche Groß-Umstadt (Markt 10) gefeiert.

(Text: S. Rummel / Foto: Evangelisches Dekanat Vorderer Odenwald)

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