Nach der Rente ist vor der Rente: Edeltraud Seitel pflegte über das Rentenalter hinweg

Beliebt bei Alt und Jung: Im Berufsleben standen für Edeltraud Seitel die Menschen immer an erster Stelle. Auf einer Stippvisite als Rentnerin begeistert Enkel Phil die Bewohner des Seniorenzentrums.

Wenn Edeltraud Seitel den Wohnbereich Drei des Seniorenzentrums betritt, überkommt sie Wehmut. Im Wohnbereich ist viel los. Durch die Grippewelle fehlt viel Personal. „Du fehlst“, ruft ein ehemaliger Kollege Seitel zu. „Ich würde am liebsten schon wieder mit anpacken.

Ich vermisse meine Arbeit“, sagt die Pflegefachkraft leise. Seitel ist seit vier Monaten in Rente. Vor drei Jahren entschied die 68-Jährige, noch nicht in die wohlverdiente Rente zu gehen. Drei Jahre hängte sie noch bei ihrem Arbeitgeber, dem Seniorenzentrum in Harreshausen, dran.
„Ich fühle mich jünger als 68 Jahre. Die Zahl erschreckt mich manchmal. Mit 65 Jahren hätte ich mir nie vorstellen können, mit der Arbeit aufzuhören“, erklärt Seitel unumwunden. Über das Rentenalter hinaus arbeiten zu gehen, sei überhaupt kein Problem. Die deutsche Rentenversicherungsanstalt habe gesagt, dass sie so viel dazu verdienen könne, wie sie wolle. „Ich erhalte schon seit drei Jahren meine Rente und das Einkommen. Ich habe eben viel mehr steuerliche Abgaben“, erzählt Seitel.
Viele potenzielle Menschen im Rentenalter fühlen sich heutzutage noch zu fit, um mit der Arbeit aufzuhören. Bei körperlich anstrengenden Berufen, zu dem auch die Pflege gehört, ist das allerdings anders. Edeltraud Seitel ist da eine Ausnahme. Die blonde Dame aus Messel wirkt auch im Interview sehr jung und agil, hat Enkel Phil mitgebracht. Seit Januar ist der Eineinhalbjährige ihr Lebensmittelpunkt und „Sonnenschein“ ihres Rentnerdaseins.
Trotz der neuen Lebensaufgabe vermisst die Pflegefachkraft ihre Tätigkeit. „Die Anerkennung von Kollegen, Bewohnern und Angehörigen ist doch noch mal etwas anderes als von der Familie. Die finanzielle Bestätigung darf man dabei auch nicht außer Acht lassen“, betont Seitel. Ihr fehle der geregelte Tagesablauf, die gezielte Arbeitsstruktur. „Jetzt schläft man vielleicht länger, räumt ein bisschen hin und her, aber alles irgendwie ohne richtiges Ziel.“
Edeltraud Seitel war eine beliebte Pflegekraft. Die Kollegen schätzten ihren Rat und ihre Kollegialität, die Bewohner und Angehörigen ihren offenen und fröhlichen Charakter. „Mir wurde immer vermittelt, dass ich gebraucht werde und meine Arbeit gut ist. Zudem hatten wir ein tolles Team. Was will man mehr?“, stellt die 68-Jährige die rhetorische Frage. Wenn sie die Senioreneinrichtung betreten habe, seien ihre Sorgen immer wie weggeblasen gewesen. Natürlich habe es auch Probleme bei der Arbeit gegeben. So stand der Mensch bei Seitel immer an erster Stelle. Die stetig wachsende Pflegedokumentation und damit Bürokratie habe die Zeit mit und für die Menschen enorm verkürzt. Damit konnte sie sich nie einverstanden erklären. Aber die positiven Dinge überwogen in all den Jahren. Optimismus hat Edeltraud Seitel schon oft im Leben geholfen.
Schon als junges Mädchen wollte die gebürtige Darmstädterin den Beruf der Krankenschwester ergreifen. Die Eltern hatten allerdings den kaufmännischen Zweig für sie bestimmt. Erst Verkäuferin, dann Bahnangestellte, später Politesse. „Schließlich war ich für die Familie da, kümmerte mich um die Kinder und pflegte meine Oma.“
Mit 46 Jahren stellte sich Seitel die Berufsfrage erneut, entschied sich nach einem Praktikum in Harreshausen für die Altenpflege. Noch einmal Schulbesuch und Prüfungen, doch sie hatte endlich den Beruf, den sie sich immer erträumt hatte.
Edeltraut Seitel liebt die „Action“, wie sie selbst sagt und muss sich erst daran gewöhnen, dass das Leben in Rente nicht mehr ganz so „actionreich“ ist. Nur für das Interview hat sie noch einmal den Schritt zur Arbeitsstelle gewagt. „Sonst komme ich nicht mehr hierher. Ich muss einen Schnitt machen, sonst überfällt mich eine leise Traurigkeit. Außerdem gehört man als Privatmensch einfach nicht mehr dazu. Man stört nur bei der Arbeit“, sagt sie bestimmt.
Die Rentnerin wartet jetzt auf die warmen Tage, an denen sie in ihrem geliebten Garten Hand anlegen kann. Neben dem Enkel und dem Ehemann ist das nämlich ein weiteres leidenschaftliches Hobby. Und sie überlegt: „Reisen, ja reisen ist schön. Ich liebe die Sonne. Jetzt können wir ihr sozusagen hinterher reisen.“ Sie schaue immer in die Zukunft. Wenn man zu viel in der Vergangenheit lebe, werde man alt.
Wen wundert es da, dass sich die Altenpflegerin über ihre Zukunft im Alter schon lange Gedanken gemacht hat. „Die Pflege in der Familie ist anstrengend und belastet die Beziehung. Ich habe ein so tolles Verhältnis zu meinen Kindern. Das möchte ich nicht gefährden. Ich möchte unabhängig bleiben, und die Kinder sollen sich nicht verpflichtet fühlen. Ich werde einmal in eine Pflegeeinrichtung gehen.“ Bis das soweit sei, findet die Rentnerin, habe sie bei guter Gesundheit sicher noch lange Zeit. Aktuell überlege sie, ob sie nicht doch noch einen Minijob annehmen soll.  nda

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