Spurensuche in Theresienstadt (Teil 1): Gegen das Vergessen − Die Schicksale von 28 Babenhäusern

Bei Ankunft im Konzentrationslager Theresienstadt mussten die Menschen oft auf dem blanken Fußboden schlafen. Man benutzte mitgebrachte Decken als Unterlage und deckte sich mit der eigenen Bekleidung zu. Erst Tage später wurde den Deportierten ein Raum zugewiesen. Viele Menschen mussten in ungeheizten Dachböden oder Kasematten „leben“. Das Ghetto-Museum Theresienstadt, in der ehemaligen „Magdeburger Kaserne“ zeigt einen Raum wie er damals aussah.

Nun liegt das Buch auf dem Schreibtisch. Es heißt „Theresienstädter Gedenkbuch“. In diesem umfassenden Werk sind die Opfer der Judentransporte (von 1942 bis 1945) aus Deutschland nach Theresienstadt dokumentiert. Nur von Deutschland, nicht aus „Böhmen und Mähren“, nicht aus Österreich. Und nur die Transporte nach Theresienstadt, nicht die nach Riga, Lodz, Minsk oder Auschwitz.

770 DIN A4-Seiten voller Namen, voller Schicksale. 770 Seiten voller Opfer – Umgekommene (Ermordete) wie Befreite. Das anschließende Personenregister, vier Spalten auf einer Seite, kleingedruckt, umfasst nochmal 125 DIN A4-Seiten. Es werden in dem Gedenkbuch die Schicksale von 42.124 Juden festgehalten, die aus neunzehn Deportationsgebieten (darunter Darmstadt und Frankfurt/Main) in 329 Transporten nach Theresienstadt verschleppt wurden. Aus Darmstadt wurden insgesamt 1.351 Personen nach Theresienstadt deportiert. 1.015 dieser Menschen waren älter als 65 Jahre. Die statistischen Angaben des Gedenkbuches geben aber auch ein deutliches Zeichen über die Schrecken der damaligen Zeit: Bei den 1.351 Deportierten werden 1.250 Umgekommene (Ermordete) vermerkt, nur 101 Menschen überlebten den Transport, das Ghetto, das Konzentrationslager. Es gab (nach aktuellen Recherchen) insgesamt 28 Babenhäuser jüdischen Glaubens, die nach Theresienstadt deportiert wurden:
Babenhausen: Jettchen Arnsberg, Martha Mathilde Fuld, Sara Fuld, Clara Idstein, Bernard Manheimer, Rosa Meyer, Cilly Schack, Louis Ullmann, Guda Wiesbaden.
Sickenhofen: Esther Oppenheimer.
Hergershausen: Rosa Götz, Max Götz, Maria Rebekka Hagg, Bertha Heinemann, Hermann Heinemann, Nanette Kahn, Jenny Stern, Joseph Stern.
Langstadt: Bertha Aumann, Sally Aumann, Judis Aumann, Jossy Aumann, Moses Lichtenstein, Leo Oestreich, Auguste Wetzler, Benzion Wetzler, Bertha Wetzler, Hermann Wetzler.
Über die Schicksale der jeweiligen Personen berichten wir in einer der kommenden Ausgaben der Babenhäuser Zeitung. Angemerkt wird in diesem Zusammenhang, dass lediglich Sally Aumann (Ehemann von Bertha, genannt Betty, und Vater von Judis und Jossy) das Martyrium überlebte. Alle anderen wurden in Theresienstadt oder Auschwitz ermordet.

Theresienstadt

Als Militärfestung wurde Theresienstadt im 18. Jahrhundert erbaut. Am Zusammenfluss zwischen Eger und Elbe, etwa 60 Kilometer von Prag entfernt, wurde die Stadt nach Kaiserin Maria Theresia benannt. Die Gesamtfläche der Anlage beträgt etwa 67 Hektar (zum Vergleich: die Fläche der ehemaligen Babenhäuser Kaserne beträgt etwa 60 Hektar).
Im Jahr 1941 war Theresienstadt erneut eine wichtige Garnisonsstadt. Elf Kasernen und viele weitere Militäranlagen prägten das Bild der Stadt. In der sogenannten „Kleinen Festung“ befand sich das Polizeigefängnis der Prager Gestapo (Geheime Staatspolizei). In Theresienstadt lebten 1941 neben den 3.498 tschechischen Bürgern auch 348 deutsche Bewohner.
Am 24. November 1941 traten 342 Männer eines „Aufbaukommandos“ am Prager Bahnhof an. Sie wurden mit einem zivilen Zug zur Station Bauschowitz gebracht, von dort führte sie ein etwa zweieinhalb Kilometer lange Fußweg nach Theresienstadt. Ihre Aufgabe war es, die Stadt zur Aufnahme einer großen Anzahl von Häftlingen vorzubereiten. Sie wurden in die Sudetenkaserne gebracht – als sich die Tore hinter ihnen geschlossen haben entstand in den Kasernenobjekten das Konzentrationslager Theresienstadt.
Ende 1941 erreichte der Lagerstand in Theresienstadt  bereits über 7.000 Menschen. Im ersten Halbjahr 1942 wurden aus böhmischen und mährischen Städten weitere 25.862 und im zweiten Halbjahr 28.366 Juden nach Theresienstadt deportiert. Anfänglich war Theresienstadt noch eine „normal“ bewohnte Stadt, erst am 3. Juli 1942 wurde die Aussiedlung der Zivilbevölkerung aus Theresienstadt beendet. Am 6. Juli um 12.30 Uhr wurden die Wachen aus den einzelnen Kasernen zurückgezogen und an den Ghetto-Grenzen eingesetzt. Die ganze Stadt war nun zu einem Konzentrationslager geworden.
Am 2. Juni 1942 kam der erste Menschen-Transport aus Deutschland in Theresienstadt an. Zwischen April und September 1942 stieg die Zahl der in Theresienstadt Inhaftierten dramatisch an: April 1942: 12.869, Mai: 14.300, Juni: 21.269, Juli 43.403, August 51.554, September 53.254. Noch schneller stieg die Sterblichkeit an. Im April 1942 starben 256 Menschen in Theresienstadt, im August 2.327 und im September 3.941. Während sich zwischen April und September die Zahl der Deportierten um rund das Vierfache vergrößerte, stiegen die Todesfälle im selben Zeitraum um mehr als das Fünfzehnfache an. Der höchste Häftlingsstand wurde in Theresienstadt am 18. September 1942 vermerkt: 58.491 (heute hat Theresienstadt etwa 3.000 Einwohner).
Der Sommer 1942 gehörte zu den grausamsten Kapiteln der Theresienstädter Geschichte.
Mehr als 6.000 Menschen mussten auf den Dachböden vegetieren (ohne Heizung, Wasserversorgung und die notwendigsten hygienischen Einrichtungen). Im Winter 1942/43 lebten die Menschen in Löchern auf den Dachböden, wo das Thermometer auf nur einige Grad über Null sank. Manche wurden in dunklen, ungenügend gelüfteten Kasematten (Gewölbe im Festungsbau) untergebracht. Auf einen „Bewohner“ in Theresienstadt entfiel im August 1942 (einschließlich Dachböden und Kasematten) nur 1,6 Quadratmeter Fläche. Zum Schlafen, zum Leben, zum Sterben.
Im Lager brach oft die Wasser- und Stromversorgung zusammen. Es entstand ein hoffnungsloser Mangel an Küchenkapazitäten, es war unmöglich das Austragen von Essen zu bewältigen. Viele Häftlinge bekamen ihr sehr karges Essen kalt. Hunger war damals ein ständiger Begleiter in Theresienstadt. Abfallhaufen wurden nach Überresten von (oft bereits verdorbenen) Lebensmitteln untersucht. Grauenhaft waren auch die sanitären und hygienischen Bedingungen, vor Aborten und Latrinen standen Tag und Nacht lange Schlangen. Es verbreiteten sich Epidemien von Darmkrankheiten. Es fehlten Menschen und Mittel für die grundlegendste gesundheitliche Fürsorge.
Eine Aufzeichnung aus dem Oktober 1942 ist erhalten geblieben, wonach SS-Führer Heinrich Himmler in Rom (bei Benito Mussolini) Theresienstadt als Städtchen und Alters-ghetto lobte. Die Juden bekämen dort ihre Pension und ihre Bezüge und könnten ihr Leben nach eigenem Geschmack einrichten.
Dass dies nur eine von unzähligen Lügen der NS-Schergen war ist klar. Die Deutschen jüdischen Glaubens wurden damals in Wirklichkeit ausgegrenzt, verfolgt, erniedrigt, verraten, enteignet, vertrieben, entrechtet, beraubt, entwürdigt und ermordet. Darunter auch die 28 Babenhäuser, deren Schicksal in Theresienstadt in einer der kommenden Ausgaben der Babenhäuser Zeitung näher beleuchtet wird.            hz

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