200 blaue Blüten für Hergershausen: „Und dass man sieht, dass Kerb ist in diesem Haus, hängen wir jetzt den Kerbstrauß raus!”

Als Anita Ullrich vorsichtig in das Innere des Eisengestells klettert, hat sie fast etwas von einer Trapezkünstlerin. Denn auch die Zirkusartistinnen arbeiten an Gerüsten, die frei über dem Boden schweben – so wie der mannshohe Kerbstrauß, der in Hergershausen komplett in Handarbeit hergestellt wird. Anders als das Trapez in der Manege ist der Kerbstrauß nur wenige Zentimeter vom Boden entfernt. Trotzdem braucht es viel Erfahrung und ein wenig Mut, um das Gerüst zu betreten. Anita Ullrich hat beides.

Sie gehört zu einer Gruppe von zwölf Frauen, die in Hergershausen alle zwei Jahre das Fest zur Kirchweih vorbereiten. Mal ist der Turnverein Hergershausen Ausrichter der viertägigen Kerb, mal ist es der SV Kickers. In diesem Jahr laden die Fußballer des SV und ihre Frauen zur Kerb. Das Fest zeichnet sich dadurch aus, dass die Veranstalter stets Tradition und Moderne verbinden. So entsteht eine ausgewogene Mischung, bei der Jugend und Reife, Alteingesessene und Neubürger gemeinsam ausgelassen feiern.
Zu den traditionellen Elementen der Hergershäuser Kerb gehört der Kerbstrauß. Ohne ihn, sagt Marga Klein, kann im Ort die Kirchweih nicht gefeiert werden. Die Garage von Marga und Wilfried Klein ist stets der Treffpunkt für die einfallsreichen Damen, die dort ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. „Der Kerbstrauß kommt drei Tage lang zum Einsatz. Das erste Mal beim Kerbtanz am Samstagabend im Bürgerhaus“, erklärt Marga Klein.
Der Tanzabend steht immer unter einem Motto; in diesem Jahr wird in die „blaue Nacht“ hineingetanzt. Der Strauß soll möglichst das Motto widerspiegeln. Deshalb hat die Gruppe rund 200 Blüten aus Krepppapier in verschiedenen Blautönen  gefaltet, die zum Schluss den Kerbstrauß zieren. Sie werden gleichmäßig im Tannengrün verteilt, das Renate Herget und Gisela Österling mit geübten Handgriffen um das Eisengestell gebunden haben.  
Dessen Form ist einer großen Kirchenglocke nachempfunden, schließlich wird ja die Kirchweihe gefeiert. Um den Eisenring, der den Boden formt, sowie um die drei senkrechten, zur Spitze hin geschwungenen Stangen werden Tannenzweige kunstvoll gesteckt. So lange, bis ein blickdichter Mantel aus Zweigen entstanden ist. Lange blaue Kreppbänder schauen später, wenn der Kerbkranz von der Decke des Bürgerhauses hängt, unter dem Kerbstrauß hervor wie der Klöppel einer Kirchenglocke. Um diese in den Strauß zu flechten, muss Anita Ullrich in das Eisengestell steigen.
Die Zweige werden meist nach Absprache mit dem Förster im Wald gesammelt. Diesmal hatten die Kerbfrauen Glück: Privatleute, die zwei große Tannen gefällt hatten, spendeten reichlich Material. Knapp zwei Stunden dauert es, bis der Strauß gebunden und mit Blumen verziert ist. Die Blüten zu falten, beansprucht einen ganzen Nachmittag.
Nach seinem Einsatz beim Kerbtanz wurde der Strauß beim Kerbumzug am Sonntag durch Hergershausens Gassen gefahren und auf dem ersten von 22 Wagen präsentiert. Der Kerbspruch wurde unter seiner Blütenpracht gehalten, der stets mit den Worten beginnt: „Und dass man sieht, dass Kerb ist in diesem Haus, hängen wir jetzt den Kerbstrauß raus!“ Am Dienstag mußten sich die Frauen, die seit 40 Jahren eine feste Clique bilden, und schon ebenso lange für den Kerbstrauß verantwortlich sind, von ihrem Werk trennen. Dann wurde die Kerb verbrannt und der Kerbstrauß von den Flammen verschlungen.       mel
(Fotos zum Kerbumzug in den Galerien.)

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