Was ist geblieben? Für Ulrike Trautmann sind es zwei Situationen. Da ist zum einen die Begegnung mit einer jungen Schwarzen, die ein Haus hat, das hierzulande wohl eher als Hütte bezeichnet würde, freundliche Nachbarn und ausreichend zu essen. Sie zeigt ihr Haus, das Baby auf dem Arm, mit dem Satz: „This is our little piece of heaven.“ („Dies ist unser kleines Stück vom Himmel“) Ulrike Trautmann ist der Kloß im Hals anzumerken, als sie sagt: „Das war ein Moment, den werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen.“ Einen anderen solchen Moment erlebte sie, als sie mit dem Projektchor das Lied „Senzenina“ (Was haben wir getan?) sang, ihr die Geschichte Südafrikas mit all dem Leid, das die Apartheid mit sich brachte, durch den Kopf ging, ihr die Tränen über die Wangen liefen und eine fremde Frau sie in den Arm nahm.
Vor zehn Wochen ist der Projektchor des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald von seiner Reise nach Kapstadt zurückgekehrt. Und auch für Ute Kredel hat sich durch den Besuch in den Partnergemeinden der Moravian Church einiges verändert. Sie ist nach wie vor in Kontakt mit den Menschen dort. Fast kein Tag vergeht, an dem nicht E-Mails hin- und hergehen. Sie und ihre neuen Freunde blieben in Verbindung, berichtet sie. Sie teilten ihr Leben mit – und sie selbst sehe dadurch vieles anders.
Apartheid endet erst 1994
An verschiedenen Abenden in verschiedenen Kirchengemeinden schildern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Südafrika-Reise – wie im rappelvollen Gemeindehaus in Reichelsheim am Dienstagabend – ihre Erlebnisse, sie zeigen Fotos und Videos und singen. Die Gäste erfahren, dass 1652 in Südafrika die holländische Besiedlung beginnt und, kurz darauf die ersten Sklaven ans Kap verschleppt werden, dass das Land um Kapstadt 1814 zur britischen Kronkolonie wird, die Briten die Sklaverei abschaffen, aber 1913 die Apartheid beginnt. Schwarze werden zwangsumgesiedelt, sie verlieren das Wahlrecht, Stadtteile werden nach Rassen getrennt, 1948 wird die Apartheid offizielles Regierungsprogramm. „Alles wurde fortan streng nach Schwarz und Weiß getrennt: Aufzüge, Restaurants, Kinos, Strände, Blutkonserven, Ambulanzwagen“, erläutert Andrea Dippon-Meyer, „Eltern ließen bei Verkehrsunfällen ihre Kinder sterben, obwohl schwarze Sanitäter sofort zur Stelle gewesen wären.“ Das ändert sich erst 1994 mit dem Ende der Apartheid und der Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Reise besuchten Robben Island, wo Nelson Mandela 18 Jahre inhaftiert war, und den District 6, einst das Zentrum Kapstadts, das 1966 systematisch dem Erdboden gleich gemacht wurde und an das heute noch die Straßenschilder im Museum erinnern. Sie sahen sich verschiedene Projekte an – etwa die Gefängnisseelsorge in Südafrikas zweitgrößtem Gefängnis mit 25.000 Gefangenen, besuchten Organisationen, die sich für Homosexuelle, für Kinder, deren Eltern an Aids gestorben sind oder Zwangsprostituierte einsetzen.
Musikalisch könnten die Südafrikaner und der „choir from Germany“ nicht weiter auseinander liegen: Die Südafrikaner singen mit dem ganze Körper, sie trommeln, stampfen und klatschen dazu. „Zu uns haben sie immer gesagt: Ihr singt wie die Engel“, sagt Anne Müller. Das tun sie dann auch mehrfach und zum Schluss– mit Gänsehautfeeling – die Nationalhymne Südafrikas, die in Xhosa, Afrikaans und Englisch gesungen wird. Bei Leckereien vom afrikanischen Büffet gehen die Gespräche weiter. Er sei „sehr bewegt“, sagt ein Besucher, und nehme allerhand Eindrücke mit.
WEITERE TERMINE:
Dienstag, 30. Juni, 19.30 Uhr, evangelisches Gemeindehaus Dieburg, Frankfurter Straße 3: Bilder und Reise-Erlebnisse mit Anne Fette, Inge Herbich und Monika Roßmann.
Sonntag, 5. Juli, 18 Uhr, Martin-Luther-Haus, Erlenweg 10, Reinheim: Friederike und Klaus von Boetticher und Jan Plotzki berichten von ihren Eindrücken.
Samstag, 11. Juli, 19 bis 22 Uhr, evangelisches Gemeindehaus Babenhausen: Bilder, Erzählungen, afrikanische Knabbereien und musikalischen Beiträge mit Ralph Scheiner, Monika Roßmann und Inge Herbich. Der Babenhäuser Eine-Welt Laden gestaltet den Abend mit. Friedl Kotzbauer macht Musik.
Mittwoch, 15. Juli, 19.30 Uhr, Gemeindehaus Groß-Zimmern: Bilder, Erlebnisse und afrikanische Musik mit Michael Fornoff, Dorrit Mecke und Ulrich Kuhn.
„Mit Musik werden so viele Brücken geschlagen“
Für die Partnerschaftsarbeit im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald war die Chorreise nach Südafrika ein Novum. Drei Fragen an Ökumenepfarrerin Annette Herrmann-Winter, die für Partnerschaftsarbeit zuständig ist und die Reise mitorganisiert hat.
Was war das Besondere dieser Chorreise?
Annette Herrmann-Winter: Zum ersten Mal bestand eine Delegation aus 25 Teilnehmenden aus allen Partnergemeinden des Dekanats. Und zum ersten Mal gab es ein alle verbindendes Thema: die Musik. Sie hat den Vorteil, dass sie ohne Sprache und Sprachbarrieren auskommt. Mit der Musik werden so viele Brücken geschlagen. Da spielt es keine Rolle mehr, ob jemand schwarz oder weiß oder farbig ist oder aus welchen sozialen Verhältnissen Menschen kommen.
Was hat die Reise für die Partnerschaftsarbeit gebracht?
Annette Herrmann-Winter: 80 Prozent des Projektchores hatte vorher noch nie etwas mit Partnerschaftsarbeit zu tun. Viele waren noch nie zuvor in Südafrika. Durch die Reise konnten wir neue Interessierte für den weiteren Austausch mit der Moravian Church in Kapstadt gewinnen. Für unsere Partnerkirchen war gerade die Vielfalt des Projektchores sehr beeindruckend. Durch die Unterbringung in Privatquartieren wurden Kontakte geknüpft und werden jetzt weiter gepflegt. Das ist ein wesentlicher Impuls für die Zukunft. Das große Engagement des Partnerschaftsausschusses in Kapstadt hat durch den Besuch und die Konzerte viel Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit auch auf Kirchenleitungsebene erhalten und wurde gewürdigt. Das finde ich besonders schön.
Wie geht es in Zukunft weiter?
Annette Herrmann-Winter: Das Modell, die Delegationsreise unter ein Thema – die Musik – zu stellen, war ein voller Erfolg. So wollen wir auch in Zukunft weiter arbeiten. Es gibt viele Themen, die auf einen gemeinsamen Austausch warten, zum Beispiel zu heutigen Lebensformen, zu den Auswirkungen des Klimawandels oder zum Umgang mit älteren Menschen. In zwei Jahren wird eine Delegation aus Südafrika in unserem Dekanat zu Besuch sein. Ich hoffe, dass die Teilnehmenden des Chorprojektes dann als Gesprächspartner und Gastgeberinnen wieder dabei sein werden.
(Text/Interview/Fotos: S. Rummel)
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