Leserbrief Offener Brief

Offener Brief an: Frau Dr. von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Dr. Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

In einer Diskussionsveranstaltung am 20. Juni 2012 zu dem Thema "Auswirkung des Bildungs- und Teilhabe- Paketes auf die Mittagessenversorgung in Schule und Hort " bestätigten alle Babenhäuser Schulen und Betreuungseinrichtungen, dass durch die Einführung des Teilhabe- und Bildungspaketes viele Kinder ohne Mittagessen am Unterricht teilnehmen. Bevor über das Bildungs- und Teilhabepaket die Essensversorgung für Bedürftige finanziert wurde, übernahm diese Aufgabe die Karl-Kübel-Stiftung. Das Land Hessen stellte für die Mittagsessensversorgung bedürftiger Kinder an Schulen und Horten Geld zur Verfügung, das durch die Karl-Kübel-Stiftung verwaltet wurde. Unbürokratisch war es so möglich Kinder und damit auch ihre Familien zu unterstützen, auch ohne ausdrücklichen Nachweis der Bedürftigkeit. Seit die Finanzierung über das Bildungs- und Teilhabepaket abgedeckt wird, fallen viele Familien durch unser soziales Netz; Familien, die nicht in der Lage sind den notwendigen Antrag zu stellen, die beschämt darüber sind, dass sie die Grundversorgung ihrer Familie nicht leisten können, aber auch Familien die knapp über einer bestimmten Einkommensgrenze liegen, aber dennoch bedürftig sind. Peter Baumann, Leiter der Flanagan-Schule, schilderte drastische Beispiele von Kindern, die so hungrig seien, dass sie in der Schule nicht konzentriert mitarbeiten könnten und um Essen bitten würden. Oft teilten die Lehrkräfte ihr "Butterbrot" mit den Kindern. Auch Uwe Schimsheimer, damaliger, stellvertretender Schulleiter der Joachim-Schumann-Schule, berichtete von hungrigen Kindern, die nach der Essensausgabe in der Mensa nachfragten, ob es Reste gäbe. Die Leiterinnen weiterer Grundschulen bzw. Horteinrichtungen konnten diese Schilderungen untermauern. Diese unsägliche Situation kann und wird nicht hingenommen werden.

Eine aktuelle Befragung der Freien Wohlfahrtspflege in den Kommunen belegt: Weniger als die Hälfte der Leistungsberechtigten beantragen überhaupt Unterstützung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket; nur ein Bruchteil - rund ein Viertel - der vom Bund bereitgestellten Mittel wird abgerufen. Die Motive für die Nichtinanspruchnahme sind sowohl vielfältig wie strukturell bedingt. Entscheidend ist, dass soziale Ausgrenzung von Kindern bereits beim Mittagessen beginnt. Dabei sind die Gründe hierfür, aus Sicht der Kinder, unerheblich. Sicher ist, dass die Kinder diese Gründe nicht zu verantworten haben, dennoch unter der Situation leiden, weil sie ausgegrenzt werden.

Die Kreisagentur Darmstadt-Dieburg hat die Anträge sehr vereinfacht und bemüht sich um eine schnelle Bearbeitung. Da die Mittagsessensversorgung aber nur ein Teil des Leistungsspektrums des Bildungs- und Teilhabepaket abbildet, kann eine unbürokratische Vorgehensweise, wie sie bei der Karl-Kübel-Stiftung möglich war, nicht erfolgen. Zudem reicht die dünne Personaldecke keinesfalls aus, wenn alle Leistungsberechtigte entsprechende Anträge stellen. Verwalteten die Gelder der Karl-Kübel-Stiftung zuvor wenige Verwaltungsfachangestellte für ganz Hessen, bearbeiten heute pro Kreis durchschnittlich 3-4 Verwaltungsangestellte die Anträge zum Bildungs- und Teilhabepaket. Betrachtet man den gesamten Verwaltungsaufwand und die damit verbundenen Kosten, so liegt die Vermutung nahe, dass durch die Einsparungen, die der Wegfall dieses Verfahrens brächte, jedes Kind in Hessen ein kostenloses Mittagsessen erhalten könnte. Zudem könnten niederschwellige Zugänge zu Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten für Kinder aus einkommensschwachen Familien angeboten werden. Alle SchulleiterInnen waren sich einig, dass gerade für Ganztagsschulen dem gemeinsamen Mittagessen in der Schule eine besondere Bedeutung zukommt. Es gehört zum integralen Bestandteil des Ganztagsschulangebots. Erfolgreiches Lernen setzt voraus, dass sich die Kinder ausreichend und gesund ernähren.

Wir ersuchen Sie, das Verfahren des Teilhabe- und Bildungspaket, sowie das Betreuungsgeld nochmals zu überdenken. Das Land Hessen hat gezeigt, wie durch eine unbürokratische, effiziente Maßnahme Kinder für 1 Euro in den Genuss einer warmen Mahlzeit kommen können. Warum eine Unsumme an Verwaltungs- und Personalkosten ausgeben, wenn das bereitgestellte Geld u. a. einen unerhörten Behördenapparat mitfinanziert, aber nicht das erreicht, was beabsichtigt ist.

In einem Land, in dem der Schulerfolg eines Kindes so stark von der familiären Herkunft abhängt wie in Deutschland - mit all den bekannten negativen Folgen, sollte ein Interesse daran bestehen, Kinder früh zu fördern. Wer Hunger hat, kann sich nicht auf das Lernen konzentrieren und es verschließen sich die Türen unseres Bildungssystems.

Damit bedürftige Kinder in ihrer Freizeit bei Sport-, Spiel- oder Kulturangeboten mitmachen können, wird der Beitrag für den Sportverein oder andere Teilnahmebeiträgen bis zu 10 Euro pro Monat übernommen. Sportkleidung oder Musikinstrumente werden allerdings nicht bezuschusst, obwohl z. B. Fußballschuhe und Trikots Grundvoraussetzung fürs Fußballtraining sind. Bildung für alle und von Anfang an. Das ist möglich, wenn die Gelder für das Bildungs-und Teilhabepaket und die Gelder des Betreuungsgeldes in unsere Bildungs- und Betreuungseinrichtungen gesteckt werden. Wir sagen: Stopp! zur derzeitigen Handhabung. Machen Sie soziale Gerechtigkeit möglich. Konsens aller Unterschreibenden ist es die Kommunalpolitik, die Landespolitik, sowie die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen und Bundesfamilienministerin Kristina Schröder auf die Missstände, die aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sowie dem Betreuungsgeld erwachsen, eindringlich hinzuweisen. Bauen Sie den riesigen Verwaltungsaufwand ab und lassen Sie die Gelder direkt in die Schulen, Vereine und Kitas fließen.

Ziel muss es sein, allen Kindern einen erfolgreichen Start ins Leben zu ermöglichen - unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern!

 

Inhaltliche Verantwortliche: Maria Steinmetz-Hesselbach, Sozialausschussvorsitzende der Stadt Babenhausen. Un-terzeichnet wurde der Brief von Vertretern aller Babenhäuser Schulen und hortähnlichen Einrichtungen und Politiker der SPD und der GRÜNEN, sowie von Bürgern der Stadt Babenhausen.

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