Eigentlich sollte Jürgen Schumann an diesem Donnerstag nicht fliegen. Nur weil ein Kollege ausfiel, sprang Schumann ein und flog als Pilot die Boing737 „Landshut“ von Frankfurt nach Mallorca und wieder zurück. „Heute Nachmittag bin ich wieder da“, waren seine Abschiedsworte. Es war das letzte Mal, dass Monika Schumann ihren Mann lebend sah.
Um 13.10 Uhr stand der Lufthansa-Flug LH 181 von Palma de Mallorca nach Frankfurt auf dem Programm. An Bord waren 82 Touristen und fünf Besatzungsmitglieder. Unter den Passagieren befand sich auch das vierköpfige Terrorkommando „Martyr Halimeh“, der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, deren Anführer, Zohair Youssif Akache, alle „Captain Mahmud“ nennen mussten.
Die Flugsicherung in Mailand meldete um 13.50 Uhr eine Kursabweichung der „Landshut“, die schließlich in Rom landete. „Captain Mahmud“ verkündete die Forderungen der Terroristen: 15 Mio. Dollar Lösegeld und die Freilassung des harten Kerns der Baader-Meinhof-Bande (Rote Armee Fraktion = RAF), die in Stuttgart Stammheim inhaftiert waren, sowie von zwei Gesinnungsgenossen aus türkischer Haft.
Die Maschine wurde in Rom aufgetankt und es folgte der Weiterflug nach Zypern. Von hier aus wurde Beirut angeflogen, aber der dortige Flugplatz wurde gesperrt, was eine Landung unmöglich machte. Der Kurs der Maschine ging weiter Richtung Damaskus, Bagdad, Kuwait und Bahrain. Auf allen Flughäfen erhielt die Maschine keine Landeerlaubnis. Nur aufgrund des Treibstoffmangels ließ man die Maschine in Bahrain landen. Die Odyssee ging weiter, über Dubai und Oman, bis der Irrflug nach Aden führte. Auch in Aden erhielt die „Landshut“ keine Landeerlaubnis. Die Landebahn wurde mit Fahrzeugen aller Art zugestellt. Aufgrund des Treibstoffmangels blieb Jürgen Schumann keine andere Wahl, er musste neben der Landebahn auf einer Sandpiste notlanden.
105 Stunden, über vier Tage lang halten die Terroristen das Flugzeug in ihrer Gewalt und die ganze Welt in Atem. Es herrschten unglaubliche Zustände an Bord: Die Klimaanlage war außer Betrieb, dadurch stiegen die Temperaturen auf über 50 Grad, die Versorgung der Geiseln war mangelhaft, das Wasser musste rationiert werden. Auf weniger als 75 qm Fläche sind die Passagier eingesperrt, eine kaum vorstellbare physische und psychische Belastung.
Während diesen unmenschlichen Bedingungen schmuggelte Jürgen Schumann heimlich Informationen über Zahl und Bewaffnung der Entführer nach draußen und riskierte damit sein Leben. Einmal bestellte Schumann vier Stangen Zigaretten - „zwei von der einen, zwei von der anderen Sorte“. Damit verriet er, dass es sich um vier Entführer handelte, zwei Frauen und zwei Männer. Nach der Erstürmung durch die GSG 9 hat deren Kommandeur, Ulrich Wegener, dies hervorgehoben. Bei seinem heldenhaften Eintreten für drei Passagiere und seinen Kopiloten Jürgen Vietor, redete Jürgen Schumann intensiv auf „Captain Mahmud“ ein, und rettete so alle vor der „Exekution“.
Vor dem Weiterflug von Aden musste überprüft werden ob die Maschine bei der Notlandung Schaden genommen hat. Jürgen Schumann verließ die „Landshut“ und nahm den erforderlichen Außencheck vor. Zulange blieb Schumann weg und man konnte ihn auch vom Flugzeug aus nicht sehen. Auf die Megaphonrufe des Copiloten Jürgen Vietor, kam keine Antwort. In dieser Zeit setzte sich Schumann für seine Passagiere und die anvertraute Besatzung ein. Er begab sich zum Kommandeur des Flughafens und flehte diesen an „Bitte, es geht um das Leben von 90 Menschen, wir können nicht wieder starten“. Vergebens. Scheich Ahmed Mansur, jemenitischer Luftwaffengeneral, half nicht. Jürgen Schumann kehrte zum Flugzeug zurück und wusste, dass hiermit sein Schicksal besiegelt war. Er verabschiedete sich: „Ich kehre jetzt zurück. Ich bin sicher, sie werden mich umbringen.“.
„Captain Mahmud“ hat an Bord bereits das Todesurteil gefällt. „Euer Kapitän hat euch verlassen! Ich werde ihn erschießen. Er ist eine Deserteur!“ Er zwingt Schumann im Mittelgang niederzuknien. Seine Frage an Schumann „Are you guilty or not guilty?“ (Schuldig oder nicht schuldig?) war nur ein Schein. In letzter Verzweiflung bittet Schumann „Please let me explain“ (Bitte, lassen Sie mich erklären), doch sein Peiniger schlägt ihm die Pistole ins Gesicht. Das entstehende Wortgefecht wird immer lauter, bis ein jäher Knall diese furchtbare Szene beendet. Zohair Youssif Akache hat abgedrückt. Die Kugel durchschlägt Schumanns Schädel, der tot zusammenbricht. Stundenlang liegt der Leichnam im Gang des Flugzeuges. Beim Weg zur Toilette müssen die Passagiere über den Toten hinwegsteigen, bis er dann vor dem Weiterflug nach Mogadischu, in einen Garderobenschrank an Bord des Flugzeugs gesteckt wird.
Bei der Trauerfeier in der Babenhäuser Stadthalle versuchte Pfarrer Hörnle, ein langjähriger Freund der Familie Schumann, mit einem Wort aus dem Johannes-Evangelium Trost zu spenden „Niemand hat größere Freude denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“. Woher Jürgen Schumann die Kraft dazu gewonnen habe, wisse niemand. Für alle, die sein Beispiel erlebt hätten, bedeute die Hingabe Jürgen Schumanns die Herausforderung, ihm nachzueifern. hz
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