Vom Mensch zum Arbeitstier?

Evangelische Dekanate, Verdi und Katholische Betriebsseelsorge veranstalten Diskussion über Arbeitszeiten, Flexibilisierung, Digitalisierung und die Menschen dazwischen

Auf dem Foto sind zu sehen (v. li.): Prof. Dr.-Ing. Ralph Bruder, Leiter des Instituts für Arbeitswissenschaften und Vizepräsident der Technischen Universität Darmstadt, Dr.-theol. Stefan Heuser, Professor für Ethik an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Achim Kopp, Geschäftsführer von Kopp Schleiftechnik GmbH in Lindenfels, Bernd Blümmel, Betriebsrat bei T-Systems in Darmstadt, und Dr. Michael Vollmer, Arbeitsmediziner, Präses des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald und Moderator das Abends.

Fachkräftemangel, Arbeitszeitverdichtung, Digitalisierung, Überlastungsreaktionen: Als Hauptabteilungsleiter der Kreisagentur für Beschäftigung hat Roman Gebhardt täglich mit der Arbeitswelt und ihren rasanten Veränderungen zu tun. Und er weiß auch: „Alles, was in der Arbeitswelt stattfindet, hebt die Hürde für Langzeitarbeitslose.“

Er ist an diesem Abend in Vertretung der erkrankten Sozialdezernentin Rosemarie Lück der Hausherr einer Veranstaltung im Kreistagssitzungssaal in Kranichstein, die die Evangelischen Dekanate Darmstadt-Land, Darmstadt-Stadt und Vorderer Odenwald sowie ver.di Südhessen und die Katholische Betriebsseelsorge Südhessen organisiert und mit „Arbeit ohne Ende“ überschrieben haben. Sind Wirtschaft und Arbeit auch künftig für den Menschen da oder kehrt es sich um? Dergestalt steigt Dr. Michael Vollmer, Arbeitsmediziner, Präses des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald und Moderator des Abends, in das Thema ein.

Termin- und Leistungsdruck belasten Arbeitnehmer

Die Arbeitswelt verändert sich, vor allem im Hinblick auf flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitsverdichtung. Professor Dr.-Ing. Ralph Bruder, Leiter des Instituts für Arbeitswissenschaften und Vizepräsident der Technischen Universität Darmstadt, beobachtet eine deutliche – statistisch belegte – Zunahme der Arbeit am Abend, in der Nacht und am Wochenende. „Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Problemen mit Vereinbarkeit von Arbeitszeit, Familienzeit und gesundheitlichen Beschwerden“, konstatiert Bruder. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe daher in seinem „Weißbuch Arbeiten 4.0“ ein Wahlarbeitszeitgesetz vorgeschlagen. Als Hauptbelastung werde der starke Termin- und Leistungsdruck empfunden.
Eine massive Arbeitsverdichtung infolge von ständigem Stellenabbau: Davon kann Bernd Blümmel, Betriebsrat bei T-Systems in Darmstadt, ein Lied singen. Seit Jahrzehnten baue die Telekom Stellen ab, in den vergangenen fünf Jahren allein 5000 von 25.000 Stellen. Nicht ohne Auswirkung auf die Angestellten: Bei Berufsunfähigkeit seien psychische Ursachen das häufigste Thema, sagt Blümmel.

„Wer bei uns geht, geht in Rente“

Ein ganz anderes Bild zeichnet Achim Kopp, Geschäftsführer der Kopp Schleiftechnik GmbH, einem Familienunternehmen mit 42 Mitarbeitenden in Lindenfels-Winterkasten. Der älteste Mitarbeiter, seit 40 Jahren im Unternehmen, stehe an der modernsten Maschine. Es gebe Gleitzeitmodelle und eine offene Kommunikation, die Technik übernehme die Nacht- und die Wochenendschicht.  „Wer bei uns geht, geht in Rente“, sagt Kopp. Gleichwohl schaut auch er nicht ganz ohne Sorgen in die Zukunft – womöglich könnten durch den 3-D-Druck Zerspanungswerkzeuge überflüssig werden.
Flexibilisierung heiße, immer wieder neu an der Balance zwischen Arbeiten und Leben zu arbeiten, sagt Dr.-theol. Stefan Heuser, Professor für Ethik an der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Feste Zeiten gebe es nicht mehr, das mache es zweischneidig, denn „Arbeit dringt in Freizeit ein“. Wenn der Mensch aber zum Getriebenen der Arbeit werde, entwickle er sich zum „Arbeitstier“ zurück und verliere sein Menschsein. Umso wichtiger seien arbeitszeitrechtliche Regelungen. Zugleich habe Arbeit aber auch einen kooperativen Aspekt – man müsse nicht alles alleine machen, das bedeute auch Freiheit.
Nach einem regen Austausch mit dem Publikum fand schließlich Edda Haack, Leiterin des Diakonischen Werks Darmstadt-Dieburg, das ideale Schlusswort: Sie sei froh, hergekommen zu sein, da viele Facetten, die das Thema Arbeit aufwerfe, behandelt worden seien. Es sei gut zu wissen, dass es Gestaltungsspielräume gebe. „Menschen gestalten Menschenarbeit.“

(Text/Foto: S. Rummel)

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