Doch neben Breschturm, Hexenturm, Stadtmühle und Rathaus gibt es viele weitere sehenswerte Gebäude mit baulichen Besonderheiten, mit Geschichte und durchaus auch mit Charakter. Den sehr genauen Blick auf diese Besonderheiten und das Wissen um die Geschichte und Architektur besitzt Frank-Ludwig Diehl. Ein Altstadtrundgang mit ihm gleicht einer spannenden Reise durch die Jahrhunderte und richtet den Blick auf so manches Detail, das man bisher vielleicht noch nicht wahrgenommen hat.
Die Reise sollte passenderweise am ältesten Haus in der Babenhäuser Altstadt beginnen. Doch welches hat die längste Zeit überdauert? Das Haus in der Schloßgasse neben dem Hexenturm gilt als das älteste Gebäude, wie die Zahlen über der Eingangstür erzählen – vorausgesetzt, man kann sie entziffern. 1442 ist das Haus errichtet worden. Doch man braucht schon eine sachkundige Person an der Seite, um das Baujahr erkennen zu können. Denn die Zahl „4“ wurde zu jener Zeit ganz anders geschrieben.
„Man hat in der Epoche der Gotik die 4 als halbe 8 dargestellt“, erklärt Frank-Ludwig Diehl die ungewöhnliche Schreibweise, die es auch am Zifferblatt der Langstädter Kirche gibt. Gut erkennbar ist an dem liebevoll und aufwendig sanierten Gebäude in der Schloßgasse dass es in einer Übergangsphase zwischen Ständer- und Geschossbauweise entstand, da viele Holzbalken des Fachwerkbaus zwei Stockwerke berühren. Die gebogenen Streben, die mitunter an die stark vereinfachte Darstellung eines Menschen erinnert, garantierten eine gute Stabilität und seien typisch für die Fachwerkhäuser im Rhein-Main-Gebiet. Weithin bekannte Beispiele sind das Michelstädter Rathaus und die wiederaufgebaute Frankfurter Altstadt im Bereich des Römerbergs.
Der Wunsch, ein repräsentatives Zuhause zu schaffen und auch der Zweckmäßigkeit auch Ästhetik und Schönheit zu verleihen, sei allgegenwärtig gewesen. „Auch damals hat man Baupläne gezeichnet, Berechnungen angestellt und ist planvoll und strukturiert an den Hausbau herangegangen“, erzählt Frank-Ludwig Diehl. Verantwortlichen waren in der Regel Zimmerleute oder Baumeister, die sich einen besonders reichen Erfahrungsschatz und Wissen angeeignet hatten.
Ob nun das Haus am Hexenturm oder das Fachwerkgebäude in der Amtsgasse 15 das ältere ist, lasse sich nicht eindeutig sagen, meint Diehl. Es sei aber durchaus möglich, dass das älteste Wohngebäude in der Amtsgasse steht. An diesem sieht man besonders gut das „vorkragende“, also ein gutes Stück über das Erdgeschoss hinausragende, erste Stockwerk, das von hölzernen „Krachen“ gestützt wird.
„Die Gassen waren eng, der Platz war begrenzt, und so ging man dazu über, das obere Stockwerk über die Gasse hinaus zu bauen. So gewann man im oberen Geschoss wertvolle Fläche“, erklärt Frank-Ludwig Diehl. Die Dachböden wurden üblicherweise als Lagerraum genutzt, in denen man die Getreidevorräte aufbewahrte. Ursprünglich hatten die Gebäude meist keinen Kamin. Der Rauch der Feuerstelle zog durchs ganze Haus und sorgte dafür, dass es im Dachgebälk keinen Holzwurm gab. Dieser wurde schlicht ausgeräuchert.
Da aber die Häuser dicht an dicht gebaut wurden, mit Holz, Stroh und Lehm als wesentliche Baumaterialien, konnte sich ein Feuer rasend schnell ausbreiten und eine ganze Stadt in Flammen aufgehen lassen. Brannte das Haus oder Teile davon nieder, waren die Bewohner mittellos. Da das Feuer also für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft eine große Bedrohung war und es eine kollektive Angst davor gab, organisierten die Gemeinden schon früh Feuerschauen, um Gefahrenstellen zu erkennen und möglichst zu beseitigen.
Während die Wohnverhältnisse in den Häusern der einfachen Bürger meist recht beengt waren, boten die Herrschaftshäuser angemessen viel Platz für ihre Bewohner. Das spätgotische Haus in der Amtsgasse 31 ist ein solches Gebäude. Neben dem Renaissance-Torbogen, der heute jedoch keine Funktion mehr hat, weist eine Plakette auf eine Auszeichnung der Denkmalpflege hin. Zwar gebe es schon seit der Zeit des Architekten und Planers Georg Moller (1784 bis 1852) Bestrebungen, historische Bausubstanz zu bewahren und einen Überblick über die Objekte zu bekommen. Doch erst in den vergangenen Jahrzehnten hat der Denkmalschutz eine besondere Bedeutung.
„In den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ist wohl etwa ebenso viel historische Bausubstanz zerstört worden, wie während des Krieges“, sagt Diehl. Heute stehen einzelne Bauten oder ganze Ensembles unter Schutz. Der Erhalt der Gebäude wird meist auch mit finanziellen Anreizen gefördert. Aber auch entsprechende Auflagen sind bei der Sanierung einzuhalten.
An manchen Fachwerkbauten ist das Spielfreudige und Fantasievolle der deutschen Renaissance noch erkennbar. Mitunter finden sich Merkmale aus der Übergangsphase von Gotik und Renaissance. Florale Muster und Motive sind im Fachwerk mancher Häuser schön zu sehen, so wie bei einem Gebäude aus dem Jahr 1589. Für jene Bauzeit waren sie typisch. Ebenso wie das repräsentative Fachwerk des Pfarrhauses, das sich noch heute in barocker Pracht zeigt.
Im Lauf der Jahrhunderte haben die Gebäude in der Babenhäuser Altstadt so manche Mode mitgemacht. So wechselten auch die Meinungen darüber, was als Ästhetisch empfunden wurde. Bis zum Barock sei das Fachwerk geachtet und geschätzt worden. Nach dem 17. Jahrhundert änderte sich der Blick. „Das Fachwerk war mehr und mehr als ländliche-provinziell verpönt. Auch in den Dörfern wollte man einen urbaneren Eindruck erwecken, weshalb viele Häuser verputzt wurden, um das Fachwerk zu kaschieren“, sagt Frank-Ludwig Diehl. Ein Beispiel dafür ist der „Schwartze Löwe“ am Marktplatz.
Ganz in der Nähe, in der Fahrstraße, steht ein besonders beeindruckendes Haus, in dem heute die Buchhandlung „Auslese“ ihr Domizil hat. Anfang des 20. Jahrhunderts war dort eine Bäckerei beheimatet (die Bäckerei Schroth). Der Sinnspruch im Fachwerk weist noch heute darauf hin. „Was den Leib stärkt, kommt aus diesem Haus, was die Seele stärkt, geht vom Wort Gottes aus“, heißt es da. mel
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Rubrik: Babenhausen und Umgebung
26.01.2022
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