Was aber um Himmelswillen ist der Grund für solch einen unbarmherzigen Baumschnitt (s. Bild)? Diese rabiate Maßnahme entstellt die Bäume, nimmt ihnen die Würde und lässt sie als Baumkrüppel zurück. Auch wenn das Großgehölze wieder austreibt, wird dieser rücksichtslose Baumschnitt zwangsläufig in einem langen Siechtum zu ihrem frühzeitigen Ende führen. Es ist nicht zu verhindern, dass große Schnittwunden am Astwerk oder schlimmer noch Kappungen (meist von einer „Fachfirma“ ausgeführt und durch einen Baumgutachter abgesichert), zu Fäulnis und Parasitenbefall (insbesondere Pilze, aber auch verschiedene Käfer- und Raupenarten) führen. Gegen diese Angriffe kann sich der geschwächte Organismus Baum nicht mehr ausreichend zur Wehr setzen. Besonders schlimm sind solche Eingriffe, erfolgen sie zur kalten Jahreszeit. Innerhalb dieses Zeitraumes ist der Baum quasi wehrlos, weil sein „Betriebssystem“ schlichtweg ruht und er deshalb nicht über genügend Potential verfügt, um die in der Pflanze ruhenden Abwehrkräfte abzurufen. Das führt dazu, dass die unzähligen Feinde es noch einfacher haben sich einzunisten und ihr unheilvolles Werk zu beginnen. An den Schnittstellen von Starkästen bilden sich sogenannte Ständer, die statisch gesehen, nur über eine geringe Anbindung an den Holzkörper verfügen. Regelmäßiger Rückschnitt oder andere sicherheitsbedingte Vorkehrungen sind die Folge und kosten immer Geld. Geld , das unsere Stadt anscheinend zu wenig hat. Ein Verweis auf die kürzlich beschlossene „wiederkehrende Straßengebühr“ sei in diesem Zusammenhang gestattet.
Ein sehr gutes Beispiel ist unter anderem die 1924 gepflanzte Dorflinde in Harpertshausen, die vor ca. 30 Jahren stark zurückgeschnitten wurde, keine Kappung, der Kronenmantel ist erhalten, was dem Baum, der sich immer noch in der Adoleszensphase befindet, ein harmonisches Aussehen belassen hat. Diesbezüglich eine fachlich saubere Arbeit. An diesem Objekt, läßt sich sehr deutlich die statisch kritische Ständerbildung (s.Bild) erkennen. An jedem starken Ast ist es an den Schnittstellen zu großen Einfaulungen gekommen, die die Linde erst in den letzten Jahren zum Glück erfolgreich umwallt bzw. schließt. Im Inneren der Äste führt der Baum einen stillen Kampf gegen die eingedrungenen Feinde, insbesondere Pilze, in dem er mittels chemischer Stoffe Barrieren bildet, um eine weitere Ausbreitung der tödlichen Gefahr zu verhindern -ein Kampf auf Leben und Tod, in einer anderen Zeitdimension, für uns Menschen einfach nicht richtig greifbar. Ab und an, wenn ein vor Jahren verletzter Baum gefällt wird, lassen sich die Sperren und Barrieren, mit der die Angreifer mitunter auch erfolgreich abgewehrt werden, recht gut farblich erkennen. Die katastrophalen Ergebnisse einer Baumkappung sind unter anderem sehr eindrucksvoll in der sogenannten Platanenallee von Babenhausen zu „bewundern“. Alle Platanen sind inzwischen groteske Baumkrüppel, die ständig zurückgeschnitten oder ersetzt werden müssen. Das Zerstörungspotential von Baumkappungen kann man leider auch in anderen Städten erkennen. Zum Beispiel in Griesheim die Lindenbäume an der Wilhelm Leuschner Straße: vor etwa 40 Jahren gekappt, sind heute nicht mehr vorhanden. Der Empörung einzelner Bürger trat man mit dem Hinweis auf einen Baumgutachter und die ausführende „Fachfirma“ entgegen.
Auch in der Harpertshäuser Dorflinde wurde schon ein Sicherheitsgurt eingezogen und die Ständertriebe dürfen nicht zu schwer werden, denn niemand ist in der Lage, die statische Beschaffenheit der vor 30 Jahren verletzten Starkäste verläßlich einzuschätzen.
Was die Bäume auf der ehemaligen Gänsewiese in Harpertshausen betrifft, wäre es unter Umstände vorteilhafter gewesen sie zu fällen und eine Neupflanzung vorzunehmen. Eine lange Leidenszeit wäre Ihnen erspart geblieben. Von den Verantwortlichen der Stadtverwaltung oder auch anderer involvierter Personen und Behörden, die die „Baumpflegeaufträge“ vergeben, würde mehr Sensibilität bezüglich Linde, Kastanie, Platane, Weide usw. mit Sicherheit kein Nachteil sein.
Alle Welt redet vom Klimawandel und dessen Folgen aber bedenken wir doch: ohne Bäume gäbe es überhaupt kein Klima, die Erde wäre ein unbewohnbarer Planet und wir als „Sauerstoffwesen hätten keine Lebensgrundlage. Das Lied „Mein Freund der Baum“ von Alexandra (1968) war einst ein Hit, in dem die Wertschätzung dieser grandiosen, mächtigen Lebensform liebevoll intoniert wird.
PS: Obstbäume werden vorwiegend im Spätherbst aber auch im Winter geschnitten, da andere Ziele , wie eine reichliche, qualitativ gute Ernte, im Focus stehen. Aber auch hier gilt, je frostiger die Temperatur, desto wehrloser der Baum. Siehe Prof. Alex Shigo , Forstwissenschaftler USA oder Prof. Walter Liese Holzforscher und Holzbiologe Uni Hamburg.
Herbert Bangert, Harpertshausen
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Rubrik: Leserbriefe
27.04.2018
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