Der gelbe Koffer ist nicht irgendein Koffer, sondern ein Klimakoffer. Er ermöglicht die ideale Umgebungstemperatur und Luftfeuchte. „Für das Buch ist es wichtig, dass es nicht gestresst wird“, sagt Schefzyk. In der evangelischen Kirche Altheim sind nun im Altarraum die Fenster verhüllt, um es vor Lichteinfall zu schützen. Außerdem darf das alte Gesangbuch nur mit Stoffhandschuhen angefasst werden, damit nicht Bakterien auf die Seiten gelangen, die wiederum zu Stockflecken führen.
„Ein vollkommen Kirchengesangbuch“
Das Frankfurter Gesangbuch wurde 1569 in Frankfurt von Johannes Wolff gedruckt. Der wiederum unternahm mit seiner Herausgabe den Versuch, die in Frankfurt bekannten und die reformatorischen Lieder in ganz Deutschland zu sichten und zu erfassen – als „ein vollkommen Kirchengesangbuch“, wie es in der Vorrede heißt.
Das Frankfurter Gesangbuch hat das sogenannte Folio-Format. Es ist 40 Zentimeter hoch, 25 Zentimeter breit und neun Zentimeter dick – also um ein Vielfaches größer als die heutigen Gesangbücher. Der Ledereinband ist gepunzt, das heißt aufwendig mit einzelnen Stahlstichen versehen. In der damaligen Zeit konnten die meisten Menschen weder lesen noch schreiben. Erst 1593 wurde in Altheim die erste Schule errichtet; die erste Orgel wurde noch viel später – 1725/26 – eingebaut. Die Reformation breitete sich in erster Linie durch das Singen aus. Martin Luther schätzte die Musik als wirksames Mittel gegen „Zorn, Zank, Hass, Neid, Geiz, Sorge, Traurigkeit und Mord“. Luther selbst textete und komponierte, er dichtete Psalmen um und vertonte sie, übertrug lateinische Texte ins Deutsche.
Sicherheitsstufe eins
Durch das Reformationsjubiläum 2017 gelangte das alte Frankfurter Gesangbuch in Altheim wieder ans Tageslicht. Das Bibelhaus in Frankfurt startete 2015 einen Aufruf, für die Reformationsausstellung alte Bibeln zur Verfügung zu stellen. Eine Reformationsbibel hatte die Kirchengemeinde Altheim-Harpertshausen zwar nicht, wohl aber das Frankfurter Gesangbuch von 1569, das seit Jahren im Stahlschrank schlummerte. Seit der Ausstellung ist es als Dauerleihgabe im Bibelhaus – unter Sicherheitsstufe eins, was beste Klima- und Lichtbedingungen bedeutet. „Als Museum denken wir immer an die Ewigkeit“, sagt Schefzyk.
Das Frankfurter Gesangbuch diente in erster Linie den Pfarrern, Vorsängern und Kantoren. Sie übten die Lieder mit der Gemeinde so lange, bis diese sie konnten. Jede Kirchengemeinde hatte seinerzeit wohl nur ein Buch. Die Produktion der Bücher war aufwendig und teuer. „So ein Band entspricht in etwa zwei Schweinen“, sagt Museumsdirektor Schefzyk. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts war es beim Buchdruck üblich, immer nur wenige Druckseiten mit Bleilettern zu setzen (Bleisatz), diese zu drucken und anschließend die Lettern für die nächsten Seiten umzusetzen.
BEGLEITPROGRAMM
Zurück ins 16. Jahrhundert: Am Reformationstag, 31. Oktober, unternimmt die evangelische Kirchengemeinde Altheim-Harpertshausen eine kleine Zeitreise. Im Gottesdienst um 18 Uhr gibt es ein „Singen wie vor 450 Jahren“: Kirchenchorleiter Andreas Koser wird Zeile für Zeile, Strophe für Strophe aus dem Frankfurter Gesangbuch vorsingen und die Gemeinde, die damals noch nicht lesen und schreiben konnte, singt nach und lernt so das Lied. Dazu besteht die Möglichkeit eine nachgebaute Druckpresse aus der Zeit Gutenbergs und Luthers zu erleben und selbst beim Drucken Hand anzulegen. Das Besondere: Eine Seite des Altheimer Gesangbuches soll nachgedruckt werden. Das Frankfurter Gesangbuch wird zu den Gottesdiensten am Reformationstag, 31. Oktober, 18 Uhr, sowie an den Sonntagen, 3. und 10. November, 10.15 Uhr, jeweils eine Stunde vorher und nachher ausgestellt. Weitere Termine, gerne auch für Gruppen, können mit dem Pfarramt unter 06071/4969100 vereinbart werden.
Veranstaltungen am Reformationstag
Es ist das Jahr 502 nach der Reformation. Am 31. Oktober 1517 soll Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben, und die Ereignisse, die letztlich zur Entstehung der Evangelischen Kirche führten, nahmen ihren Lauf. Und deshalb feiert die Evangelische Kirche nicht Halloween, sondern den Reformationstag. Die Kirchengemeinden des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald sind am Donnerstag, 31. Oktober, mit vielen Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen dabei. In Altheim wird zum Beispiel aus dem 450 Jahre alten Frankfurter Gesangbuch gesungen wie zur Reformationszeit, in Reinheim heißt es für die Kinder „Hello-Marteen“ und in Eppertshausen holt Kabarettistin Herta Wacker den Reformator Martin Luther vom Sockel. Eine Übersicht:
Altheim
18 Uhr, Reformationsgottesdienst mit Ausstellung des Frankfurter Gesangbuchs von 1569, Singen und drucken wie in reformatorischen Zeiten, Ev. Kirche
Babenhausen
19 Uhr, Gottesdienst, Ev. Stadtkirche
Eppertshausen
19.30 Uhr, Kabarettistin Herta Wacker befasst sich mit dem ganz privaten Martin Luther und findet es sehr anstrengend, einen Reformator immer auf einem Sockel zu betrachten..., Ev. Friedensgemeinde
Groß-Bieberau
18 Uhr, Andacht zum Reformationstag im Gemeindehaus
Groß-Umstadt
19 Uhr, Gottesdienst im Gemeindehaus
Groß-Zimmern
19 Uhr, Gottesdienst in der evangelischen Kirche
Habitzheim
19.30 Uhr, gemeinsamer Reformations-Gottesdienst des Kirchspiels Otzberg in der evangelischen Kirche in Habitzheim
Heubach
19 Uhr, Futtern mit Luther: Vier-Gänge-Menü aus Luthers Zeit mit Zitaten; der Hauptgang entstammt dem Hochzeitsessen Luthers. Ev. Gemeindehaus Heubach; Anmeldung erforderlich bis 27. Oktober unter 06078/9679020 oder 06078/913100.
Unkostenbeitrag: zwölf Euro
Klein-Umstadt
19 Uhr, musikalischer Posaunenchorgottesdienst, Gemeindehaus (Bahnhofstraße 40)
Anlässlich des 480. Konfirmationsjubiläums geht es um „Reformation, Konfirmation und Bildung“
Langstadt
18 Uhr, Abendgottesdienst, ev. Kirche
Niederhausen
18 Uhr, Reformationsgottesdienst mit Posaunenchor, ev. Kirche
Reichelsheim
19 Uhr, Andacht in der Kirche
Reinheim
17 Uhr, „Hello-Marteen“ für Kinder und Eltern: Sie sehen ein kurzes Theaterstück über Martin Luther, lernen ein Lied und gehen dann singend von Haus zu Haus in der Umgebung, wo es an diesem Tag sicher auch einige Süßigkeiten gibt. Verkleidungen sind natürlich erlaubt. Die Kinder lernen dabei aber auch, dass es an diesem Tag noch etwas Besseres zu entdecken gibt als „Süßes oder Saures“, nämlich die Botschaft, die Martin Luther wichtig war: Dass Gott alle Menschen liebt, unabhängig von ihren Leistungen. Die Aufsichtspflicht liegt bei den Eltern. Der Begriff „Hello-Marteen“ ist zusammengefügt aus „Martin (Luther)“ und „Halloween“.
19 Uhr, „kulinarischer Gottesdienst“, das Kochteam der Feuerwehr Reinheim wird für ein Abendessen (Suppe) sorgen. Martin Luther selbst hat gerne gegessen, und dazu manche Rede gehalten – mal erbaulich, mal sehr deftig. Der Kirchenchor gestaltet den Gottesdienst mit, Martin-Luther-Haus
Schaafheim
19 Uhr, Church Night, Abschlussgottesdienst zum Konfi-Glaubenskurs (Alpha); Thema: „Kirche: Was bedeutet Kirche und wie sag ich’s anderen weiter?“
Spachbrücken
19 Uhr, Gottesdienst, Kirche
(S. Rummel / Fotos: Peter Panknin)
Kommentare