Gemeinde trifft Gemeinde

Pfarrer und Bürgermeister tauschen sich über Fragen in der Flüchtlingssituation aus

Kirchengemeinde trifft kommunale Gemeinde: Bei der Zusammenkunft in Ober-Ramstadt gab es einen regen Austausch zwischen Pfarrerinnen, Pfarrern, Dekanen, Diakonie und Bürgermeistern. Das Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Hessischen Städte- und Gemeindebund haben das Treffen organisiert.

Es gibt Themen, die Kommunen und Kirchengemeinden gleichermaßen herausfordern – zum Beispiel die Flüchtlingsfrage. Wie können beide voneinander profitieren? Darum ging es bei einer gemeinsamen Veranstaltung von Pfarrerinnen, Pfarrern, evangelischen und katholischen Dekanen, der Diakonie und Bürgermeistern, die das Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Hessischen Städte- und Gemeindebund in Ober-Ramstadt erstmals organisiert haben.

Wie viele Flüchtlinge im Landkreis Darmstadt-Dieburg leben, diese Zahlen ändern sich derzeit so schnell, dass sie kaum ausgesprochen schon wieder überholt sind. Pro Woche werden dem Landkreis Darmstadt-Dieburg im Schnitt 120 neue Flüchtlinge aus der Erstaufnahme in Gießen zugewiesen. Damit müsste der Kreis pro Woche eine Sozialarbeiterin einstellen, beschrieb Andrea Alt, Referentin für Bildung im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald und Koordinatorin für die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit im Landkreis, die aktuelle Situation. Denn 1:120 ist der Schlüssel, der in der Flüchtlingsbetreuung derzeit vorgeschrieben ist, aber nicht erreicht wird. Zwei Drittel der Ankommenden sind Männer, ein Drittel Frauen und Familien. Im Landkreis gibt es zwei Notunterkünfte – in Weiterstadt und Seeheim-Jugenheim sowie eine Außenstelle der Erstaufnahme in der Kaserne in Babenhausen, führte Andrea Alt weiter aus.

Zum ersten Mal ein solches Treffen zwischen Kommunen und Kirche

Der Großteil der Arbeit wird von Ehrenamtlichen gestemmt. Um sie zu unterstützen, gibt es verschiedene Projekte – etwa die zentrale Homepage www.netzwerk-asyl.net, Netzwerktreffen aller Asylarbeitskreise oder Vortrags- und Diskussionsabende zur politischen Bildung. Die Flüchtlingsarbeit ist ein Thema, bei dem sich die Wege von kommunalen und kirchlichen Gemeinden kreuzen. „Heute geht es auch um die Frage, wie wir den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erhalten. Wir brauchen gemeinsame Zeiten zum Nachdenken. Wir brauchen einander“, sagte Arno Allmann, Dekan des Dekanats Darmstadt-Land und Gastgeber, zu Beginn des Treffens.
Die Zusammenkunft hatten Bernd Klotz vom Hessischen Städte- und Gemeindebund und Dr. Maren Heincke vom Referat Ländlicher Raum des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) initiiert. Sie hat Modellcharakter, denn Vergleichbares gab es bislang nicht. Die Wahl sei deshalb auf den Landkreis Darmstadt-Dieburg gefallen, weil es hier gute Kontakte zwischen Kommunen und Kirchen gebe, erläuterte Maren Heincke. „Meine Hypothese ist, dass Kommunen, Kirchengemeinden und Vereine gut funktionierende Netzwerke bilden müssen, um die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum zu sichern.“
Rund 50 Pfarrerinnen, Pfarrer, Dekane, Bürgermeister und andere Verantwortliche waren kürzlich ins Dekanatszentrum nach Ober-Ramstadt gekommen, um sich auszutauschen. Für Maren Heincke ein Zeichen für den Bedarf. Obwohl die Betroffenheiten ziemlich unterschiedlich sind: Da ist zum Beispiel die Stadt Babenhausen, in deren Kaserne bis zu 1500 Flüchtlinge untergebracht werden können, in Ober-Ramstadt dagegen gelingt die Flüchtlingsunterbringung noch ohne große Gemeinschaftsunterkunft. Viele Fragen sind ungeklärt. Bislang gebe es trotz entsprechender Aussagen von der Landesregierung keine schriftliche Bestätigung, dass durch die Erstaufnahme in der Kaserne auf die Stadt Babenhausen keine Extra-Kosten zukämen, kritisierte dessen Erster Stadtrat Kurt Lambert. Dabei zahle die Stadt derzeit die Impfungen für die Helfer. Dekan Christian Rauch vom katholischen Dekanat Dieburg mahnte an, dass besonders schnell etwas für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge getan werden müsse.

Kinderbetreuung ist ein großes Problem

Ober-Ramstadts Bürgermeister Werner Schuchmann erläuterte, dass die Kommunen den gesetzlichen Vorgaben in der Kinderbetreuung nachkommen müssten, aber von den Problemen überholt würden, sprich: Es gibt keine Fachkräfte mehr. Pragmatismus und das Abweichen von Standards, etwa bei den Gruppengrößen, darin sieht Dieburgs Bürgermeister Dr. Werner Thomas die einzige Lösung. „Wir können uns keine Erzieherinnen backen.“
Neben der Kinderbetreuung zeigte sich der knappe Wohnraum als dringliches Problem in der Flüchtlingsthematik, nicht zuletzt, weil der soziale Wohnungsbau zurückgefahren wurde. Edda Haack, Leiterin des Diakonischen Werks Darmstadt-Dieburg plädierte dafür, dass alle gesellschaftspolitischen Akteure zusammenarbeiten sollten und das Land Hessen gefordert sei, ein Gemeinschaftsprogramm Integration aufzulegen – mitfinanziert von allen Beteiligten. „Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagte sie.
Es gäbe Millionen von Optionen, nicht alle könnten bedient werden, gab Pfarrer Alfred Schwebel (Hering-Hassenroth) zu bedenken. Bei allem Engagement für die Flüchtlinge dürften auch die nicht vergessen werden, die bedürftig seien, sagte Pfarrer Dr. Frank Fuchs (Babenhausen). „Wenn wir offen mit dem Thema Flüchtlinge umgehen, müssen wir mit unseren Ängsten umgehen – auch als Bürgermeister“, sagte Groß-Zimmerns Rathauschef Achim Grimm.
Der Hessische Städte- und Gemeindebund bringe die von den Gemeinden aufgeworfenen Fragen in den Asylkonvent des Landes ein und macht auf eine Handreichung für alle Kommunen aufmerksam, mit der ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit verbessert werden kann, so Bernd Klotz, Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim HSGB.
In einer gemeinsam erarbeiteten Stellungnahme fordern die  Verantwortlichen von Kirchen und Kommunen im Landkreis Darmstadt-Dieburg einen pragmatischen Umgang mit Standards und gesetzlichen Vorgaben. In der jetzigen, dringlichen Situation seien beispielsweise für einen Übergangszeitraum neben baurechtlichen Vorgaben und ausschreibungsrechtlichen Bestimmungen insbesondere die Betreuungsschlüssel in den Kitas zu verändern, um zusätzlich Flüchtlingskinder aufnehmen zu können. Einen weiteren besonderen Handlungsbedarf sehen die Vertreter der Gemeinden bei der Unterbringung von minderjährigen unbegleiteten Ausländern sowie bei der adäquaten Betreuung von traumatisierten Menschen.  (Text / Fotos: S.Rummel)

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