Heimat- und Geschichtsverein Babenhausen: Judenfriedhof als idyllischer Ort der Erinnerung

Details wie diese sind auf fast allen jüdischen Grabsteinen zu finden: das hebräische Schriftzeichen bedeutet „Hier ruht“ und das Instrument Schofar wird auch heute noch zu religiösen Ritualen in Synagogen gespielt.

Ein Dutzend Besucher fanden den Weg zum abseits gelegenen jüdischen Friedhof in der Gemarkung Sickenhofen, wo der Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins, Georg Wittenberger, eine Führung anbot. Dabei erzählte er viel Interessantes über den kleinsten Friedhof, der für die jüdischen Gemeinden Sickenhofen und Hergershausen zuständig war.

Der jüdische Anteil an der Bevölkerung lag früher in den beiden Gemeinden bei rund 25 Prozent, weshalb man zu Beginn des 18.Jahrhunderts einen eigenen Friedhof anlegte. Das etwas erhöht liegende, sandige Gelände mit rund 2000qm Fläche war für die Landwirtschaft nicht nutzbar, jedoch hochwassersicher und die wohlhabende Judengemeinde konnte es mit einer Backsteinmauer schützen. Leicht lässt sich der unter altem Eichenbestand befindliche älteste Teil ausfindig machen, da die Grabsteine hier als teils stark verwitterte Monolithe ausgebildet sind. Die ältesten erhaltenen Gräber stammen aus den Jahren 1762 und 1764. Im vorderen Bereich sieht man dreigeteilte, fast christlich anmutende Grabsteine, die kennzeichnend für das 19. Jahrhundert sind. Ganz hinten links findet man die jüngsten Gräber des 20. Jahrhunderts, wobei hier am 18.9.1936 die letzte Bestattung stattfand. Heutzutage wäre die Stadt Darmstadt für hier ansässige Juden zuständig.
Wittenberger ging auf den Pflegezustand der Friedhofsanlage ein: denn umgefallene oder verwitterte Grabsteine dürften nach jüdischem Brauch nicht wiederhergestellt werden. Etwa zwei bis drei Mal pro Jahr würde der Friedhof extensiv gepflegt, wofür es vom RPG die Kosten erstattet bekäme. Die Säuberung der Grabsteine, um etwa Inschriften wieder leserlich zu machen, sei ebenfalls nicht erlaubt und so konnten sich auf den Grabmälern 60 verschiedene Flechtenarten entwickeln. Aus den wenigen leserlichen Inschriften lassen sich Rückschlüsse auf Berufe und soziale Funktionen der jeweiligen Verstorbenen ziehen. Nachzuschlagen sind viele dieser Details und die dazugehörigen Familiengeschichten in dem Buch „Die Juden von Babenhausen“, das 1988 anlässlich des 50-jährigen Gedenkens an die Reichsprogromnacht vom HGV verlegt wurde. Ein paar wenige Exemplare können noch im Stadtarchiv für 10 Euro erworben werden. Wittenberger, der auch Leiter des Archivs ist, wies in dem Zusammenhang auf die Öffnungszeiten des Stadtarchivs hin: jeden Samstag von 10-13 Uhr könne man da in der Städtischen Geschichte forschen.
Wittenberger ging auf zahlreiche Fragen der Besucher ein und konnte stets ausführlich antworten: seine umfangreiche Expertise ist beeindruckend und Zusammenhänge und Besonderheiten einiger Familien wurden sehr gut vermittelt. Der Geschichtsforscher wies auch auf Verzierungen und stets wiederkehrende Schriftzeichen hin: so deuten dargestellte Hände auf die weitläufigen Familien mit den Namen Kohn oder Kohen hin. Auch das hebräische Zeichen für „Hier ruht“ oder der Schofar, ein jüdisches Musikinstrument, das aus dem Horn eines Widders geschnitzt ist und auch heute noch in Synagogen eingesetzt wird, findet man oft auf den Grabsteinen wieder. Nachfragen von ahnenforschenden Nachfahren Babenhäuser Juden finden im Stadtarchiv viele Antworten, die Wittenberger gerne und akribisch recherchiert und weitergibt. Immer wieder komme auch Besuch aus Amerika, der individuelle Führungen durch den Stadtarchivar zu den für sie relevanten Plätzen genießen könne.    kb

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