Die Idee des Frauenmahls folgt einer alten Tradition im Hause Martin Luthers, in geselliger Runde bei einem guten Essen streitbare Tischreden zu halten. Bilder spielten schon in der Reformation eine gewichtige Rolle – etwa beim Bildersturm, zudem seien neue Bilder entstanden, die nicht mehr einen strafenden, sondern einen gnädigen Gott zeigten, sagt Annette Claar-Kreh, Referentin für gesellschaftliche Verantwortung im Dekanat, die zusammen mit ihren Kooperationspartnerinnen aus Dekanat und Landkreis eingeladen hat und die launig durch den Abend führte. Wo brauchen wir Bilder zu Orientierung? Welche Bilder regen zum Nachdenken an? Welche Bilder machen einen runter? „Es ist eine Herausforderung, verfestigte Bilder zu hinterfragen“, sagt Annette Claar-Kreh.
Das Bild als Diktat
Jeder kenne den Spruch „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, sagt die erste Tischrednerin Sabine Breitsameter, Professorin für „Sound und Medienkultur“ am Fachbereich Media der Hochschule Darmstadt. „Aber stimmt das? Ist das, was wir sehen, auch wirklich das, was gemeint ist?“ Ein Foto sei nicht mehr als eine Momentaufnahme, anders als ein gemaltes Porträt, bei dem sich der Maler in sein Modell habe vertiefen können. Ikonen implizierten den Imperativ „So bin ich“ und bestimmten, wie Frauen zu sein hätten. So werde Kanzlerin Angela Merkel immer wieder für ihr Aussehen und ihre Kleidung kritisiert. Sie habe, so Breitsameter, eine erfolgreiche Studentin gehabt, die sich mit feministischen Filmen einen Namen gemacht habe – sie wurde wegen ihrer dichten Augenbrauen und Haare gehänselt. „Du passt nicht in unser Bild“, da werde das Bild zum Diktat. Was dagegen hilft? „Zuhören“, empfiehlt die Professorin für Sound, das geschehe in der Zeit, im Gegensatz zur Momentaufnahme Bild.
Kaum ist Sabine Breitsameter fertig, tragen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Catering-Unternehmens Bantschow & Bantschow aus Kleestadt den ersten Gang auf: ein Cup Cake, doch dieser kleine Kuchen ist salzig.
Bilder bildeten die Realität nicht einfach ab, sondern produzierten Subtexte: Obwohl Angela Merkel Bundeskanzlerin sei, sei die CDU die Partei mit der geringsten Frauenquote, sagt Cornelia Koppetsch, Professorin für Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebensführung an der Technischen Universität Darmstadt. Ursula von der Leyen sei siebenfache Mutter und Ministerin – bei den meisten Frauen münde die Mutterschaft jedoch in einen Teilzeitjob. Die Sichtbarkeit bekannter und erfolgreicher Frauen verschleiere den postfeministischen Geschlechtervertrag. Erfolgreiche Frauen und mehr Männer in Elternzeit: Cornelia Koppetsch nennt das „neoliberalen Individualismus“. Die Top-Frauen und die neuen Väter gehörten zusammen, sie seien Realität, aber auch Ideologie, denn sie verschleierten die Strukturen.
Es sind ganz unterschiedliche Frauen, die zwischen den einzelnen Gängen, die Bantschow & Bantschow mit viel Liebe, etlichen Überraschungen, Geschmacksgegensätzen, bunten Scheinwerfern und Nebel auftischen, in sieben Minuten zu Wort kommen.
font-family:Calibri">Studium mit Ausnahmegenehmigung
Annemarie Pfeiffer, 85 Jahre alt, eine kleine, zarte Frau ist aus Groß-Bieberau. 1940 wurde ihr Vater eingezogen, sie selbst verließ die Schule 1944 nach acht Schuljahren und machte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Hauswirtschafterin. Viele Jahre wussten sie nicht, ob der Vater zurückkommen würde. 1953 kam er als letzter Heimkehrer des Ortes. Die Kinder, die Mutter und die Großeltern kümmerten sich um Hof, Ackerbau und Viehzucht. Vier Wochen, nachdem der Vater wieder da war, heiratete Annemarie Pfeiffer den jungen Mann, den sie schon seit Jahren kannte und zog zu ihm auf den Hof. Die Schwiegermutter hatte dort das Sagen, Annemarie Pfeiffer musste sie mit „ihr“ ansprechen. Das junge Ehepaar bekam zwei Töchter, die eine hat 1994 den Hof übernommen. Vier Generationen leben auf dem Hof zusammen.
Ihr Leben sei von ganz anderen Bildern geprägt als das ihrer Altersgenossinnen, sagt hingegen Beate Vollmer, promovierte Psychologin, die am 8. November 90 Jahre alt wird und in Hamburg aufgewachsen ist. Ihre Großmutter habe ihren Mann 1890 verloren und sei mit zwei kleinen Mädchen ins Elternhaus zurückgekehrt, um eine Konditorinnenausbildung zu machen. Ihre Mutter wiederum habe Religionswissenschaften, Anglistik und Philosophie für Lehramt studiert – in einer Zeit, in der Frauen noch eine Ausnahmegenehmigung des preußischen Kultusministers brauchten, um überhaupt studieren zu dürfen. Der Umgang ihrer Eltern sei partnerschaftlich gewesen. Dieses Bild habe sie geprägt, und so habe sie vor der Heirat erst ihr Examen machen wollen, um ihrem Mann, Mediziner, eine gleichwertige Partnerin zu sein. 1991 seien sie zu den Kindern gezogen, was nicht ohne Konflikte verlief. Beate Vollmers Appell: „Nur offenes und öffnendes Sprechen führt zu Lösungen, die allen helfen.“
Wie wird Familie im 21. Jahrhundert gestaltet? Das ist die zentrale Frage im Familienpapier „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ der Evangelischen Kirche in Deutschland – und der rote Faden der letzten Tischrednerin, Dr. Christiane Wessels vom Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Vor allem gehe es um Verlässlichkeit, um „Menschsein in Beziehung“, das mache ihr Mut, denn sie lebe allein, weit weg von ihrer Herkunftsfamilie, um die sie sich kümmere wie auch um ihre Freunde und Freundinnen.
Und was sagen die Männer? Einer von ihnen ist der Kreisbeigeordnete Christel Fleischmann, den seine Büromitarbeiterin auf das Frauenmahl gebracht hat: „Ich habe mich sehr wohlgefühlt, es war anregend, nicht nur vom Essen, sondern auch von den Vorträgen. Es war schön, dass auch Männer eingeladen worden sind.“
Ob das beim nächsten Mal wieder der Fall sein wird, haben die Organisatorinnen noch nicht entschieden. Termin und Thema stehen aber schon fest: Das dritte Frauenmahl ist am 28. Oktober 2016 zu „Eine Welt“.
(Text/Fotos: S.Rummel)
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