Gottesdienst mit Mitspracherecht

Das interaktive Eppertshäuser Modellprojekt „5015 – Ruf nach mir!“ gibt es seit einem Jahr / Einmalig in der Region

Rufus, Paul und Lisa (vorne, von links) mit Oberkirchenrätin Christine Noschka, Benjamin Graf, Pröpstin Karin Held, Annette Claar-Kreh, Referentin für gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald, Tobias Reichert, Johannes Opfermann, Uwe Winkler, Florian und Dekan Joachim Meyer (hinten, von links). Nicht auf dem Bild ist Ralf Friedrich, er war an dem Nachmittag per Vidoekonferenz zugeschaltet.

Endlich können die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher an Weihnachten im proppenvollen Haus auch von den hintersten Reihen das Krippenspiel problemlos mitverfolgen – via Beamer und Leinwand. Der umgebaute Gottesdienstraum in der Evangelischen Friedensgemeinde Eppertshausen hat sich schon mehrfach bewährt. „Wir nutzen den Beamer jetzt sehr viel mehr im Gottesdienst“, sagt Pfarrer Johannes Opfermann.

Aber das ist nur ein positiver Nebeneffekt: Seit einem Jahr gibt es den interaktiven Gottesdienst „5015 – Ruf nach mir“, der von der Evangelischen Friedensgemeinde Eppertshausen aus live ins Internet gestreamed wird und reale und virtuelle Gemeinde miteinander verknüpft. Das war kürzlich Anlass für Pröpstin Karin Held und Oberkirchenrätin Christine Noschka von der Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), sich in Eppertshausen einmal umzuschauen. „Diese Form des Gottesdienstes ist einmalig in der Region“, sagt Karin Held.

Menschen aufsuchen, wo sie sind

„5015“ war von Anfang an experimentell ausgelegt. Denn neben „sublan.tv“ ist er der einzige Gottesdienst dieser Art auf EKHN-Gebiet, sodass es kaum Erfahrungswerte gibt. Die Idee dazu hatte der Dieburger Coach und Psychologe Dr. Ralf Friedrich, der sich im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald auch als Prädikant und ehrenamtlicher Notfallseelsorger engagiert, seine Doktorarbeit über virtuelle Kommunikation geschrieben hat und gerne Neues ausprobiert. Für seine Promotion wurde er kürzlich mit dem „Deutschen Studienpreis Projektmanagement“ ausgezeichnet und hat das Preisgeld in Höhe von 1000 Euro gleich mal für den Online-Gottesdienst gespendet. Mit dem interaktiven Gottesdienst wollte er ein Angebot schaffen für Menschen, die „ein tiefes Bedürfnis nach Spiritualität haben, sich aber vom normalen Gottesdienst abgeschreckt fühlen“, so Friedrich. „Wir suchen die Menschen da auf, wo sie sind – im Netz.“
Eine Herausforderung für die Macher, denn „5015“ unterscheidet sich doch erheblich von herkömmlichen Gottesdiensten. Um den Austausch zwischen realer und virtueller Gemeinde überhaupt zu ermöglichen, wurde der Gottesdienstraum umgebaut und für 22.500 Euro unter Federführung von Tobias Reichert mit diverser Technik, zum Beispiel mit drei Kameras, Mikrofonen, Bildregie, Beleuchtung und Beamer ausgestattet. Weitere Technik, zum Beispiel eine mobile Kamera, ist nötig, weshalb Spenden gerne gesehen sind.
Bis zu den Sommerferien hat der Religionskurs von Hubertus Naumann, Schulpfarrer an der Landrat-Gruber-Schule in Dieburg, den Gottesdienst technisch und inhaltlich mitgestaltet. Jetzt wird ein eigenes Team in Eppertshausen aufgebaut. Lisa (11), Rufus (11), Paul (12) und Florian (15) haben Spaß an Technik und lassen sich von Tobias Reichert und Uwe Winkler anlernen. „Der interaktive Livegottesdienst ist damit neben Radio Wein-Welle das zweite medienpädagogische Konzept im Dekanat Vorderer Odenwald“, sagt Ralf Friedrich.

Stopp bei zweieinhalb Minuten

Die Liturgie ist anders, die Predigt kürzer. Umfragen, Filme oder Trailer werden eingespielt. Es gibt interaktive Elemente wie den Chat. Die Gottesdienstbesucher am Handy, Tablet oder Computer – sie stammen übrigens vor allem aus dem Landkreis Darmstadt-Dieburg, haben sich aber auch schon aus Rumänien, Brasilien, Kanada oder China zugeschaltet – sind explizit aufgefordert, ihre Kommentare abzugeben oder auch Fürbitten. Im Gemeinderaum sind sie auf der Leinwand – das Gottesdienstteam nennt sie den „Interaktivitätsmonitor“ – zu sehen. Kein Beitrag darf länger als zweieinhalb Minuten sein. Hinter der Koordination steht ein ganzes Team aus Predigern, Technik, Musik. Alles folgt einem genauen Ablaufplan. „Man muss genau wissen, was man wann wie lange macht, sonst guckt die Kamera woanders hin“, sagt Tobias Reichert.
„Wie fühlt sich das an, wenn man betet?“ will Christine Noschka wissen. Man schaue immer leicht nach  und Pfarrerin Kerstin Groß aus Münster zum wechselnden Liturgenteam. Dazu kommen Themen, die über den Tellerrand hinausschauen und wechselnde Gäste: 2017 waren es vor allem Menschen, die von Berufs wegen mit dem gesetzten Thema zu tun hatten – etwa der Friedhofsgärtner äußerte sich über Gräber, in diesem Jahr werden es Theologen sein – wie der Pfarrer für Notfallseelsorge Heiko Ruff-Kapraun oder Bruder Paulus Terwitte, Mönch und Buchautor und vielen als früherer Leiter des Kapuzinerklosters in Dieburg bekannt. Für Mai ist geplant, zwischen der Partnergemeinde in Südafrika und Eppertshausen hin- und herzuschalten.
Angst davor, dass der interaktive dem realen Gottesdienst Besucher abgräbt, hat niemand. Es gebe schon lange Fernsehgottesdienste, und die Bundesligastadien seien auch nicht leerer, seit die Bundesliga im Fernsehen übertragen werde, sagt Johannes Opfermann.

Der nächste 5015-Gottesdienst ist am Freitag, 26. Januar, 19 Uhr, in der Evangelischen Friedensgemeinde Eppertshausen. Er hat das Thema „Neues Jahr – Altes Scheitern“. Pfarrer Heiko Ruff-Kapraun, Leiter der Notfallseelsorge von Darmstadt und Darmstadt-Dieburg, wird zu Gast sein. Stream und Chat für die Interaktion zum Onlinegottesdienst wird an den Ausstrahlungstagen unter http://www.rufnachmir.de erreichbar sein.

 

HINTERGRUND
„5015 – Ruf nach mir!“ heißt der interaktive Gottesdienst, der seit 2017 sechs Mal im Jahr live ins Internet gestreamed, also übertragen wird. Der Name basiert auf Psalm 50, Vers 15: „Und wenn du in Not bist, rufe nach mir! Dann rette ich dich, und du wirst mich dafür ehren“ (Basisbibel). Der Online-Gottesdienst will über das Internet nach Gott rufen, mit dem Ziel, dass die Gemeinde in der Kirche in Eppertshausen mit einer virtuellen Gemeinde ins Gespräch kommt und die beiden gemeinsam Gottesdienst feiern und über ein App miteinander kommunizieren.

(Text: S. Rummel / Foto: Ev. Dekanat Vorderer Odenwald)

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