Jung blickt zunächst zurück auf die Reformationsjubiläen der vergangenen Jahrhunderte. 1617 standen die Feierlichkeiten im Zeichen der schroffen konfessionellen Abgrenzung, die in eine Spaltung mündete. 1717 wurde Luther sowohl vom frommen Pietismus als auch von der Aufklärung vereinnahmt. 1817 feierte man Luther als deutschen Helden und 1917 wurde dem Reformator während des Ersten Weltkrieges die Rolle des Retters in großer Not zugesprochen.
Deshalb sollte man Martin Luther heute nicht vereinnahmen, so Jung, man sollte keine evangelische Heiligenverehrung mit ihm betreiben, die er selbst zu Lebzeiten ablehnte, sondern sich kritisch mit ihm auseinandersetzen. Er habe gegen Juden und Muslime gehetzt und auch gegen ehemalige Mitstreiter eine scharfe Abgrenzung betrieben.
Menschen litten unter Angst vor der Hölle
Es sei eine düstere Zeit gewesen vor 500 Jahren, die Menschen waren von Höllenängsten geprägt. Auch Luther beschäftigte die reale Angst, vor Gott Höllenqualen in Ewigkeit ausgesetzt zu sein. Als Professor in Wittenberg kam er über die Lektüre des Römerbriefes, weitere Schriften von Paulus und Psalmgebete zur Einsicht: „Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit, in der Gott mich gerecht macht, nicht straft.“ Und auch: „Werk Gottes meint: Gottes Kraft wirkt in uns, Ehre Gottes meint: Gott ehrt uns. Gott ist in uns, um uns stark zu machen – nicht klein.“ Luther habe dies als persönliche Befreiung erlebt. Doch die damalige Kirche habe das Evangelium verdunkelt, die Menschen seien in Angst und Abhängigkeit gehalten worden. Luther wollte die Kirche reformieren.
Aufgabe sollte sein, den Menschen die Liebe Gottes nahe zu bringen – aus freien Stücken und dem Bewusstsein heraus, dass Gott den Menschen liebt. Der so beschenkte Mensch will – so Luthers Ansatz – diese Liebe weitergeben. Die Kirche lebt diese Gemeinschaft. Mit der Einsicht Martin Luthers, dass jeder Mensch durch das Studium der Bibel mit Gott verbunden sei, leitete sich auch ein Auftrag ab, die Menschen zu bilden, führte Jung weiter aus. Die Reformation löste einen Bildungsschub aus. Die Zeit vor 500 Jahren sei auch eine Zeit der Bedürfnisse nach sozialen Veränderungen gewesen und der Erfindung neuer Medien. Der Buchdruck machte die Reformation zum Medienereignis und trieb wiederum das Medium selbst voran. Man müsse immer kritisch hinsehen, auch bei der Digitalisierung, mahnte Jung. Das Smartphone biete sowohl neue Freiheit als auch neue Abhängigkeit.
„Gott neu entdecken“ sei das Thema einer Suchbewegung, sagte der Kirchenpräsident mit Blick auf den Titel seines Vortrags. Was heißt das? Der Mensch könne aus der Begegnung mit Gott neue Kraft bekommen und existenzielle Tiefe erreichen. Wenn sich der Mensch Gott anvertraue und durch die Bibel Kraft und Orientierung für sein Leben gewänne, sortiere sich manches neu.
Gäste singen den Kanon zur Jahreslosung
Brigitte Tesch, Vorsitzende des Kirchenvorstands der Kirchengemeinde Groß-Zimmern, führte durch den Abend und stellte das Programm vor, das die Evangelische Kirchengemeinde Groß-Zimmern anlässlich des Jubiläums zusammengestellt hat. Unter den rund 150 Gästen waren Joachim Meyer, Dekan des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald, sein katholischer Amtskollege Christian Rauch, Präses Dr. Michael Vollmer, die ehemaligen Präsides Rudhart Knodt und Volker Ehrmann, Bürgermeister Achim Grimm, Vertreterinnen und Vertreter der politischen Parteien, von Sparkasse und Volksbank, Haus Elisabeth und Haus Gersprenz. Musikalisch gestaltete der Posaunenchor Groß-Zimmern mit Kantor Ulrich Kuhn an der Orgel den Reformationsempfang. Sie beeindruckten mit Werken von Nicolas Jaques Lemmens und Georg Philipp Telemann sowie der Sonata F-Dur von Gaetano Piazza mit dem Kantor an der Orgel und Elfriede Ohly an der kleinen Chorraumorgel. Begeistert sangen die Gäste den von Ulrich Kuhn komponierten Kanon zur Jahreslosung 2017. Eine Besonderheit gab es auf dem mit Blumen geschmückten Altar: Dort lag eine Bibel von 1717, die sich im Besitz der Bäckerfamilie Nennhuber aus Groß-Zimmern befindet und die sie der Kirchengemeinde leihweise zur Verfügung gestellt hat.
Nach dem Vortrag des Kirchenpräsidenten plauderten die Gäste beim anschließenden Stehempfang mit Imbiss in der Kirche noch lange angeregt miteinander.
DAS PROGRAMM ZUM REFORMATIONSJUBILÄUM
Am Samstag, 18. Februar, verwandelt sich die Groß-Zimmerner Kirche in ein Kino. Gezeigt wird der Film „Luther“, eine deutsch-britisch-amerikanische Produktion aus dem Jahr 2003 mit bekannten Schauspielern wie Joseph Fiennes und Sir Peter Ustinov. Vom 8. bis 14. Mai wird das „Raibacher Reformationstriptychon“ in der Kirche ausgestellt. Das Kunstwerk der Glasgestalterin Heike Jäger (Raibach), thematisiert die reformatorischen Leitgedanken (Allein der Glaube, Allein die Gnade, Allein die Schrift, Allein Jesus Christus) in harmonischen Farbkompositionen und mit großer Symbolkraft. Die Idee dazu hatte Pfarrerin Michaela Meingast (Klein-Umstadt/Raibach/Dorndiel).
Martin Luther war für seine bildhafte und manchmal auch deftige Sprache berühmt. Bei der Veranstaltung „Luthers Tischreden“ am Freitag, 19. Mai, wird der bekannte Schauspieler Christian Klischat diese Texte ausdrucksstark präsentieren. Klischats Bruder wird die Musik aus Luthers Zeiten wiederaufleben lassen, ein zünftiger Imbiss und selbstgebackenes Brot runden den Abend ab. Karten gibt es ab 19. April, im Vorverkauf. Luther und die Reformation werden auch thematisiert beim bunten Gemeindefest am Sonntag, 11. Juni, mit Familien-Gottesdienst, Musik, Essen, Trinken, Kinderprogramm und vielem mehr. Eine „Ökumenische Lutherfahr nach Worms“ mit Stadtführung und Andacht in der Wormser Dreifaltigkeitskirche (Fahrt mit dem Reisebus) veranstalten die evangelische und die katholische Kirchengemeinde Groß-Zimmern gemeinsam. Kreativität ist gefragt bei Klein und Groß am 8. Oktober beim „Hallo-Luther-Kürbis-Schnitzen“ am Stand auf dem Kürbismarkt und im Mehrgenerationenhaus. Am Reformationstag, dem 31. Oktober, wird es einen Festgottesdienst geben, danach können Interessierte über das St. Josephshaus zur evangelischen Kirche in Dieburg wandern, wo sie neben Essen und Trinken ein Reformationsprogramm an diesem gesetzlichen Feiertag (nur 2017!) erwartet. Den Abschluss wird am Sonntag, 5. November, das Konzert „Klingende Reformation“ in der Kirche bilden – gestaltet von einem professionellen Blechbläser-Ensemble, dem Michaelschor aus Reichelsheim und der Kantorei des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald. Die Leitung haben die Dekanatskirchenmusiker Matthias Ernst und Ulrich Kuhn. Außerdem hat das sechsköpfige Team, das seit neun Monaten das Jubiläumsprogramm plant und vorbereitet, sich weitere Aktionen ausgedacht, die nicht im 16-seitigen Programmheft enthalten sind: zum Beispiel soll ein Blumenbeet in Form der „Lutherrose“ neu angelegt, eine Kinderaktionskiste konzipiert sowie eine „Thesentür“ zwischen März und Oktober an verschiedenen Orten in Groß-Zimmern aufgestellt werden.
(Text: Sigrid Maline Thierolf-Jöckel / Fotos: Michael Merbitz-Zahradnik)
Kommentare