„Wer hier als Pfarrerin oder Pfarrer stehen darf, steht in einer langen Tradition“, sagte Pröpstin Karin Held, „es erfüllt mich mit Ehrfurcht.“ Vom Klein-Umstädter Kanzelstreit sei in den Geschichtsbüchern zu lesen, nicht aber von der Treue und Verlässlichkeit der Gemeinde und der Pfarrerinnen und Pfarrer, die hier tausende Male gestanden hätten. „Wer predigt, braucht einen Standort, von wo aus man gesehen und von allen gehört werden kann“, sagte die Pröpstin, die Kanzel sei dieser Ort. In ihrer Predigt ging es ums Hören und um die Ohren, „den Hauptorganen der Christenmenschen“ – um den Mitmenschen zuzuhören, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und Gottes Wort zu empfangen.
Die Klein-Umstädter hatten es sich nicht nehmen lassen, zahlreich in den Gottesdienst zu kommen, um das 500-jährige Bestehen der Sandsteinkanzel zu feiern. 1515 wurde diese errichtet, wahrscheinlich von Wilhelm Waise von Fauerbach, 23 Jahre nach der Entdeckung Amerikas und zwei Jahre, bevor der Reformator Martin Luther in Wittenberg seine 95 Thesen anschlug, wie Pfarrerin Michaela Meingast eingangs erläuterte. 26.000 Sonntagspredigten zuzüglich der Feiertage seien auf der Kanzel gehalten und kräftig um sie gestritten worden.
Pfarrer werfen sich gegenseitig von der Kanzel
Damit sind die „Klein-Umstädter Kanzelstürme“ gemeint, die der Kirchenhistoriker Wilhelm Diehl 1917 erstmals thematisierte, wie der Klein-Umstädter Historiker Manfred Schopp in einem Aufsatz schreibt. Als im Jahr 1662 die Kurpfalz in Klein-Umstadt eine reformierte Pfarrei installierte und Pfarrer Deichmann einsetzte, kam es zur offenen Konfrontation mit dem Condominatsherrn Hessen.
Klein-Umstadt war eine kleine Gemeinde, noch dazu vom Dreißigjährigen Krieg gebeutelt – zwei Pfarrer ernähren, die sich noch dazu eine Kirche teilen sollten, das ging einfach nicht. Hessen schickte also den lutherischen Pfarrer Hildenbrand und später dessen Nachfolger Nungesser. So mancher Gottesdienst musste unter Einsatz von Militär abgehalten werden, denn beide Pfarrer hatten den Auftrag, nicht zu weichen. „1668/69 warfen sich der lutherische und der reformierte Geistliche dort mehr als zwanzigmal von der Kanzel“, schreibt Diehl. Sie trugen ihre Streitigkeiten von der Kanzel und davor aus, was den Gottesdiensten einen bis dahin nicht gekannten Zulauf und Unterhaltungswert verschaffte. Im Herbst 1669 schließlich schlossen die Landesherren den „Weinheimer Vergleich“, der die einvernehmliche Nutzung der Kirche regeln sollte.
Das Klein-Umstädter Kanzeljubiläum wird fortgesetzt: Beim Pfarrgartenfest am Sonntag, 12. Juli, 10 bis 16 Uhr, dreht sich alles um die Kanzel. Am Sonntag, 6. Dezember, 10.30 Uhr, predigt Kirchenpräsident Dr. Volker Jung. Weitere Veranstaltungen sind geplant.
(Text/Foto: S.Rummel)
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