Groß-Umstadt: Polonaise in der Stadtkirche

Bei der Jugendveranstaltung „Rock the Church“ des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald zeigt sich Kirche ganz anders

Der Platz vor der Stadtkirche ist in gelbes Licht getaucht, aus dem Off erzählt ein Sprecher mit sonorer Stimme, warum ihm sein Glaube und die Gnade Gottes so wichtig sind und warum er seine Thesen an die Kirchentür hämmert. Die Hammerschläge klingen metallisch. Knapp 300 junge Menschen stehen auf dem Platz vor der Stadtkirche. Sie halten 95 weiße Luftballone in den Händen, an jedem baumelt ein Zettel mit einem Spruch von Martin Luther. Als der Sprecher fertig ist, heißt es Luftballone loslassen. Zu Andreas Bouranis „Ich heb ab“ verschwinden die weißen Ballone lautlos im dunklen Nachthimmel. Luther hätte seine Freude gehabt.

Mit dieser Reminiszenz an den Beginn der Reformationsbewegung vor 500 Jahren – der Startschuss wird auf den Thesenanschlag in Wittenberg 1517 datiert – endet am Freitagabend die Veranstaltung „Rock the Church“ der Evangelischen Jugend im Dekanat Vorderer Odenwald. Hinter den knapp 300 Konfirmanden und Konfirmandinnen und Betreuerinnen und Betreuern aus 19 Kirchengemeinden liegt ein bewegender Abend.

Das Vaterunser mit bunten Bällen

Begonnen hat er mit dem christlichen Aktionskünstler Mr. Joy, der im richtigen Leben Karsten Strohhäcker heißt. „Das mit dem Glauben muss nicht abstrakt sein“, sagt Mr. Joy,  jongliert mal eben das Vaterunser und erzählt die Geschichte von Jesus auf seine Art. Er springt Seil mit dem Einrad, nimmt einen Jungen auf die Schultern, jongliert auf einem noch größeren Einrad mit Fackeln, lässt Stoffschlange Kassandra aus der Kiste und führt allerhand Zaubertricks vor. Die Jungs und Mädchen sind eineinhalb Stunden ganz gebannt von seiner Show. „Ich wünsche euch, dass ihr den großen, gnädigen Gott selbst erleben dürft“, sagt Mr. Joy, während Bilder aus der zentralafrikanischen Republik auf der Leinwand zu sehen sind. Hier ist er aufgewachsen. Doch eines Tages zogen seine Eltern nach Deutschland und der Bub erlebte zum ersten Mal, staunend, dass Schneeflocken vom Himmel fiellen. Das ist auch das Schlussbild nach anderthalb Stunden: „Irgendwann wird Gott mich wecken – und es wird extrem viel zu staunen geben“, sagt Mr. Joy und lässt kleine Papierschnipsel schneien.
20 Minuten Pause. Ratzfatz tragen Helferinnen und Helfer die Kirchenbänke weg und verwandeln den Kirchenraum in eine Tanzfläche, während die Jugendlichen sich in der Selfiebox fotografieren lassen, im Kirchgarten Pizza futtern oder Cocktails trinken können. Dann legt  DJ Rino, ein studierter  Molekularbiologe, los. Bunte Lichtkegel zucken durch den Kirchenraum, die Konfirmanden und Konfirmandinnen hüpfen, tanzen, reißen ausgelassen die Arme hoch und machen immer mal wieder eine Polonaise.

Raum für die Welt der Jugendlichen

„Für mich ist das Besondere dieser Veranstaltung, diesen sakralen Raum einer anderen Bestimmung zuzuführen und zu zeigen, dass die Welt der Jugendlichen in einer Kirche zum Tragen kommen kann“, sagt Dekanatsjugendreferent Rainer Volkmar, der „Rock the Church“ zum mittlerweile sechsten Mal organisierte. Das sei auch Reformation. Und es sei ein tolles Zusammenwirken von Dekanat und Kirchengemeinden. Für viele sei „Rock the Church“ ein fester Programmpunkt. „Möglich und finanzierbar ist diese Veranstaltung nur dank der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der evangelischen Jugend aus Groß-Umstadt und Umgebung, die an diesem Abend diverse Aufgaben übernehmen“, sagt Volkmar. Er hebt besonders die Gruppe der Techniker hervor, die gemeinsam circa 200 ehrenamtliche Arbeitsstunden in diese technisch hochprofessionelle Veranstaltung eingebracht hätten.
Begeistert sind auch die Pfarrerinnen und Pfarrer. „Es ist toll, wie fröhlich die Jugendlichen sind und die Kirche auch mal anders erleben und sich anders verhalten dürfen in Kirche“, sagt Bettina von Bremen aus Semd. „Wir füllen die Kirche mit Leben und geben den Jugendlichen eine Erinnerung, die sie nie wieder vergessen“, ergänzt ihr Groß-Umstädter Kollege Marco Glanz. „Das Konzept ist total stimmig“, findet der Schaafheimer Pfarrer Stefan Thomanek. Mr. Joy habe eine klare Botschaft und eine tolle Performance, und danach dürften die Jugendlichen organisiert ausflippen. Das sei Glauben, der Herz, Seele und den ganzen Körper anspreche. Und was meinen die Konfis? „Wir finden’s cool“, sagen Kim, Lara, Lea und Vanessa. 

(S.Rummel)

 

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