Stadtkirche Babenhausen: „Rauhes Bäng” – nach 530 Jahren muss die kleine Glocke in Reparatur

Um 8.33 Uhr bleiben die beiden messingfarbenen Zeiger der Kirchturmuhr stehen. Danach dauert es nicht lange, bis die ersten Passanten am Dienstag auf ihrem Weg über den Babenhäuser Marktplatz verdutzt erst auf die Uhr der Stadtkirche und dann auf ihr Handgelenk schauen.

„Heute werde ich sicher noch einige Anrufern beruhigen und erklären müssen, dass unsere Uhr nicht kaputt ist“, sagt Christoph Kleinert vom Vorstand der evangelischen Kirchengemeinde. Zwar wisse man in Babenhausen, dass an diesem Vormittag eine der fünf Kirchenglocken ausgebaut wird. Doch dass die elektrische Steuerung des Glockengeläuts und die der Kirchturmuhr zusammenhängen, bei Reparaturarbeiten deshalb auch beide abgeschaltet werden müssen, sei hingegen nur Insidern bekannt.

Besorgte Anrufer zu beruhigen, muss Kleinert auf den Nachmittag verschieben. Denn in den nächsten Stunden steht mit dem Ausbau der kleinsten und ältesten Kirchenglocke der Babenhäuser Stadtkirche eine Aufgabe an, die für alle Gemeindemitglieder Neuland ist. Für die Glocke selbst ist es wahrscheinlich ebenfalls eine Premiere. Seit dem Jahr 1383 hat die knapp 250 Kilogramm schwere Kirchenglocke ihren Platz im Gestühl der evangelischen Kirche vermutlich nie verlassen. Jedenfalls gibt es dazu in den Archiven keine Hinweise.

Das bedeutet auch: Mehr als 530 Jahre erklang die Glocke mit dem hellen Ton „Es“ zuverlässig zu jedem Gottesdienst - sogar während des Zweiten Weltkriegs. Denn in den Kirchengemeinden blieben die kleinsten Glocken davor verschont, eingeschmolzen und für die Waffenproduktion zweckentfremdet zu werden.

An Weihnachten 2014 gab es im sonst so harmonischen Zusammenspiel der Glocken einen fremden Ton. Christoph Kleinert, der den Küsterdienst zur Andacht hatte, erinnert sich gut. „Ich habe zwar nicht das absolute Gehör“, sagt er. „Aber das war auch nicht nötig, um zu erkennen, dass statt des sonst so wohlklingenden Bing plötzlich ein raues Bäng zu hören war. Die Ursache konnte nur eine Beschädigung sein.“

Kleinerts Vermutung bestätigte bald auch ein Gutachter, der einen 30 Zentimeter langen Riss für den Misston verantwortlich machte. Der Kirchenvorstand beschloss daraufhin, die historische Glocke auszubauen und reparieren zu lassen. Bevor sie bei einem Spezialrestaurateur in Holland repariert werden kann, sind vor Ort zunächst vier Handwerksbetriebe und ein Kranservice notwendig, um die Glocke auszubauen. Eine logistische Meisterleistung vor allem für Michael Schneider und David Kloft vom Unternehmen für Turmuhren- und Glockentechnik „Höckel&Schneider“.

Sie haben die Aufgabe, die kleinste der fünf Kirchenglocken, die am höchsten Punkt des Glockenstuhls hängt, durch einen schmalen Schacht auf die tiefste Ebene des Kirchturms zu bringen. Von dort aus müssen sie sie durch einen engen Durchgang in den darunter liegenden Dachboden des Kirchenchors zu hieven. Dort haben Dachdecker schon früh am Morgen einen Teil des Dachs abgedeckt, durch das später die Glocke mit einem Kran herausgehoben wird.

Besonders knifflig: Die steile Holztreppe, die zum Glockenstuhl führt, macht die Öffnung so schmal, dass die Glocke trotz ihres Durchmessers von nur 72 Zentimeter nicht hindurchpasst. Also muss die Treppe zurückgebaut werden. Im Gestühl selbst können die Handwerker nur noch über das Gebälk bis zur obersten Glocke klettern.

„Eine Leiter aufzustellen, wäre zwecklos. Die Glocken sind oft leicht in Bewegung, würden in der Enge des Turms die Leiter berühren und zu Fall bringen“, sagt Geschäftsführer Michael Schneider. Vielmehr ruft er es aus etwa drei Meter Höhe. Gerade sind er und David Kloft dabei, die Glocke aus ihrem Lager zu heben. Das dauert eine Weile, denn die Glocke muss dazu in einem Kettenzug befestigt und angehoben werden.

Mit einem Elektrogreifzug wird die Glocke dann etwa drei Meter in die Zwischenetage abgelassen, genau an der Stelle, an der noch vor wenigen Stunden die Holztreppe stand. Von dort aus geht es weiter durch einen unebenen Durchlass zum Dachboden. Die Glocke darf dabei nirgends anecken - Millimeterarbeit für Schneider und Kloft. Der Weg zur etwa zwei Quadratmeter großen Öffnung im Kirchendach ist dagegen schnell überbrückt.

Fast zu schnell, wie Christoph Kleinert findet. Denn bis der Kran kommt, dauert es noch gut eine Stunde. Auch die Jungs und Mädchen des ev. Kindergartens müssen noch Geduld haben. Doch kaum ist der gigantische Kran zwischen Kindergarten und Gemeindehaus eingebogen, begrüßen 30 Kinder Kranfahrer Jannik Fuchs. „Vor Publikum zu arbeiten, ist ungewohnt“, sagt er, während er sein Gefährt vorbereitet, sodass er den Mast auf 18 Meter ausfahren kann. Das ist weniger als die maximale Länge, aber für alle Umstehenden ein besonderer Moment. Keine zwei Minuten dauert die Aktion, bei der die Glockenhaube am Kran befestigt und kurz angehoben wird, bevor Fuchs sie auf den Boden ablässt. Nun kann man gut den senkrecht zum unteren Ring der Glocke verlaufenden Riss sehen. Unter reichlich Patina ist die Inschrift kaum zu entziffern. „Me resonnante pia populi memor esto Maria“ steht da, zu Deutsch: „Wenn ich fromm erklinge, gedenke Deines Volkes, Maria“. In etwa acht Wochen, schätzt Kleinert, wird die Reparatur abgeschlossen sein und die Glocke wieder fromm erklingen.   mel

Info: Die Gesamtkosten für die Reparatur der Glocke belaufen sich auf etwa 15.000 Euro. Diese muss die Kirchengemeinde allein aufbringen. Spenden sind daher erwünscht auf das Konto der Evangelischen Regionalverwaltung, IBAN: DE 03508526510013002225, BIC: HELADEF1DIE, Verwendungszweck: 2703 Babenhausen Spende Glocke.

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