So wurde im Zuge einer hitzigen Debatte über die angespannte Haushaltslage der Stadt der Vorschlag geäußert, einen der ganz großen Aktivposten des städtischen Haushaltes anzugehen: die Ortsbeiräte. Die seien ja nicht nur überflüssig, sondern kosten die Stadt schließlich auch noch jede Menge Geld, das sie gar nicht hat.
Aus dieser Sicht ist es angesichts einer jährlichen städtischen Verschuldung von 2 bis 3 Millionen Euro unverantwortlich, Gremien zu unterhalten, die sich mit der Gestaltung des öffentlichen Lebens in einer Gemeinde beschäftigen, in der rund 40% der Bevölkerung nicht in der Kernstadt leben, sondern in den fünf umliegenden Ortsteilen. Selbstverständlich dürfen diese „Peripherien! gegenüber der Kernstadt als marginal betrachtet werden. Wer ein Anliegen hat, soll sich doch bitte auf den Weg ins Rathaus machen und selbiges dort seinen gewählten Vertretern in der Stadtverordnetenversammlung vortragen. So bezeichnete der Vorsitzende der Freien Wähler und erste Stadtrat Kurt Lambert die Ortsbeiräte auch durchaus Konsequent als einen „Anachronismus“, als ein Relikt einer 40 Jahre zurück liegenden Gebietsreform, das heute keine Berechtigung mehr habe. Dass Herr Lambert gleichzeitig ehemaliger Bürgermeister der Stadt ist und teilweise bis zu 75% seiner Zustimmung aus den Stadtteilen erhielt, darf hier natürlich keine Rolle spielen.
Allerdings wird bei dieser Betrachtung durch die Freien Wähler ebenso vergessen, dass die Ortsbeiräte den Bürgerinnen und Bürgern eine Möglichkeit geben, über ihre Ortsvertreter direkte Anträge an den Magistrat zu stellen. Denn gemäß § 81 Abs. 3 der Hessischen Gemeindeordnung besitzt der Ortsbeirat ein Vorschlagsrecht gegenüber der Gemeinde, mit dem sich die Gemeindeverwaltung auch befassen muss. Offenbar hält der hessische Gesetzgeber diese Form der direkten Einflussnahme dann doch nicht für ganz so unzeitgemäß.
Darüber hinaus bieten die Ortsbeiräte den Bürgerinnen und Bürgern ihrer Stadtteile aber auch die Möglichkeit, diejenigen Angelegenheiten zu besprechen, welche ausschließlich für einzelne Stadtteile relevant sind. Man stelle sich nur einmal vor, dass in jeder Sitzung der Stadtverordneten oder ihrer Ausschüsse fünfzig aufgebrachte Sickenhöfer versuchen, Gehör für die Renovierung ihrer Mehrzweckhalle zu bekommen, während vor dem Sitzungssaal bereits fünfzig Hergershäuser wegen des Verkaufs der alten Schule ungeduldig mit den Winterschuhen scharren. Wer käme da auch auf die Idee, einen Ortsvorsteher zu installieren, an den man sich direkt wenden kann - geschweige denn ein entsprechendes Gremium in den Stadtteilen.
Besonders traurig ist es allerdings zu erleben, wie eine Debatte in den dunkelsten Keller der Politik abzudriften droht: Die Geldfrage besitzt für wenige städtische Themen so geringe Relevanz wie für die Sinnhaftigkeit der Ortsbeiräte. Ja, es gibt ein Sitzungsgeld von 25 Euro pro Sitzung, ja, es gibt eine Pauschale für die Ortsvorsteher, und die bekommen auch etwas mehr Sitzungsgeld. Ja, ein Magistratsmitglied ist immer anwesend, und ja, die Fraktionsvorsitzenden bzw. ihre Stellvertreter dürfen auch an den Sitzungen teilnehmen. Auch sie bekommen Sitzungsgeld. Da kommt bei sechs Ortsbeiräten mit insgesamt 52 Mitgliedern natürlich einiges zusammen. Jawohl, sechs. Die Kernstadt besitzt nämlich auch einen. Zuzüglich der Verwaltungskosten, etwa in Form der öffentlichen Bekanntmachungen, schriftlicher Einladungen und Bearbeitung der Anträge liegen die städtischen Ausgaben für die Ortsbeiräte sicherlich im unteren fünfstelligen Bereich. Manch bürgerliche Zunge veranschlagt sogar Kosten von 150.000 Euro. Mein lieber Herr Gesangsverein. Bei einem jährlichen Haushalt von über 20 Millionen Euro auf jeden Fall eine ordentliche Hausnummer.
Da erscheint es doch wirklich berechtigt, dass diese ehrenamtlich tätigen Bürger gleich besser zu Hause bleiben und Sitzungsgeld direkt in das städtische Säckel zurückführen. Diese Bürger, die ehrenamtlich ihre Feierabende und ihre freie Zeit in das Wohl der Gemeinde und in die Gestaltung ihrer Stadtteile investieren. Jene Bürger, die dafür sorgen, dass diese Stadtteile einen direkten Ansprechpartner besitzen, den sie sich selbst gewählt haben, und mit dem sie sich auch identifizieren können.
Genug der Ironie. Es ist Zeit, diese Debatte wieder in die richtige Richtung zu lenken. Weg vom Geld. Und wieder zurück zu einer der wirklich wichtigen Fragen der gelebten Demokratie: Wollen wir in einer Welt leben, in der wir Vertretern die politische Entscheidung überlassen, die weit weg von uns sind? Oder wollen wir die Dinge selbst aktiv mitgestalten? Und wie viel ist dabei jedem Einzelnen von uns ein Ehrenamt wert? Und wie viel sollte es der gelebten Demokratie in unserer Stadt wert sein?
Sebastian Franke, Mitglied des Ortsbeirates Hergershausen
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