Notfalls mit Händen und Füßen

Aktion „Von Gott reden an alltäglichen Orten“ des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald endet im Landratsamt Dieburg

Dekan Joachim Meyer im Gespräch.

Die Kaffeemaschine zischt, das Geschirr klappert geschäftig im Bistro-Bereich. An den Serviceschaltern haben sich Schlangen gebildet. Die darüber hängenden Schilder weisen den Weg: „Ausländerbehörde/Foreign Residents“, „Service/Information“ und „Führerscheinstelle/Anmeldung“. Es ist 8.30 Uhr. Zwei kleine Mädchen knien auf dem Boden und nutzen die weißen Stühle des Wartebereichs im Landratsamt in Dieburg als Tische.

„Und, malt ihr schön?“ fragt Andrea Alt von Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald lächelnd. Sie, Kollegin Annette Claar-Kreh und Dekan Joachim Meyer haben die Malsachen mitgebracht, ebenso wie Rätselhefte und buntes Papier für Falt-Spiele. Damit wollen sie den Wartenden die Wartezeit versüßen.

Unterschiedliche Schicksale und Chancen

„Von Gott reden an alltäglichen Orten“ heißt diese besondere Aktion des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald im 500. Reformationsjubiläumsjahr. An drei verschiedenen Terminen und Orten sind haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende des Dekanats auf Menschen zugegangen und mit ihnen ins Gespräch gekommen – über die Arbeit am Bahnhof in Altheim, über Suchen und Finden auf dem Flohmarkt in Groß-Umstadt, übers Warten im Landratsamt in Dieburg. Doch es geht hier gar nicht ums Warten. Es geht um Vergangenheit und Zukunft, um unterschiedliche Schicksale und Chancen, um Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsstatus und darum, die Monitore zu verstehen, die anzeigen, wann welche Nummer in welches Zimmer darf – und manchmal auch ums neue Auto.
Arhan ist viereinhalb und malt begeistert Gesichter auf das Himmel-und-Hölle-Spiel. Seine Eltern sind Kurden aus dem Irak, sie leben seit anderthalb Jahren in Deutschland und sind aus Roßdorf hergekommen. Das Ehepaar aus China ist erst seit einer Woche in Deutschland, die beiden arbeiten bei Merck und sprechen fließend Englisch. Eine ältere Dame tritt mit zwei Nummernschildern unterm Arm durch die Glasschiebetür. Junge Mütter schaukeln ihre Babys im Arm, die aus großen dunklen Augen in die Welt schauen. Wie kommt man ins Gespräch, wenn man unterschiedliche Sprachen spricht? Dekan Joachim Meyer runterhält sich mit einem Mann mittleren Alters mit Händen und Füßen und zeigt ihm schließlich, wie Schnick-Schnack-Schnuck geht. Zuvor hat er von einem jungen Mann aus Pakistan erfahren, dass dieser hier wie dort der Ahmadiyya-Gemeinde angehört und ihm die Gemeinschaft Halt gibt. „Ich bin als Gesprächspartner willkommen“, sagt Meyer. Er erlebe eine große Offenheit und Bereitschaft, auf minimaler Ebene miteinander zu kommunizieren. „Ich erlebe hier, wovon auf politischer Ebene gesprochen wird“, so Meyer, der dem Fachbeirat „Flucht und Integration“ des Landkreises angehört, das sei eine neue Erfahrung, eine Basiserfahrung. Was ihm noch auffällt: „Alle sagen, wie wichtig es ihnen ist, in Deutschland zu sein.“

Deutschland ist „peace“

Annette Claar-Kreh versucht, mit einem jungen Afrikaner ein Sudoku zu lösen, doch es will nicht recht gelingen. Beide lachen. Er ist 22, kommt aus Somalia, lebt mit Frau und Kind in Pfungstadt. In sein Herkunftsland hat er keine Kontakte mehr. Sein Bruder ist tot, was mit dem Rest der Familie ist, weiß er nicht. Somalia – das ist für ihn Hunger, Durst, Tod. Er möchte hier bleiben, Kfz-Mechatroniker werden, wenn er die Schule fertig hat, und seine Frau Krankenschwester, erzählt er, jetzt ganz ernst. „Deutschland ist peace“, sagt Annette Claar-Kreh, das habe sie ganz oft in den Gesprächen gehört – nicht das deutsche Wort „Frieden“, sondern immer das englische. „Was Integration sein kann, habe ich heute Morgen in einigen Begegnungen erlebt“, resümiert Dekan Meyer, „etwa wenn ehrenamtliche Deutsche Flüchtlinge aufs Amt begleiten und ihnen zur Seite stehen.“
Dahin gehen, wo die Menschen sind, ihnen zuhören, offen sein, nicht im kirchlichen Raum verharren – das wollten Annette Claar-Kreh und Andrea Alt als Initiatorinnen von „Von Gott reden“ mit ihrer Aktion umsetzen. Fortsetzung nicht ausgeschlossen.

(Text / Foto: S.Rummel)

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