Pfarrer Heiko Ruff-Kapraun funktioniert ein hölzernes Facettenkreuz, das Symbol der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), zum Tablett um, stellt mehrere Becher dampfenden heißen Kaffees darauf und geht auf den Bahnsteig, wo er mit einem jungen Mann und einer jungen Frau ins Gespräch kommt. Die beiden fahren mit dem Zug zur Arbeit, er nach Darmstadt, sie weiter nach Mainz. Sie habe Buchwissenschaften studiert und arbeite erst seit kurzem in Mainz, erzählt die junge Frau. Die Dekanats-Aktion gefalle ihr.
Ein Altar auf dem Park-und-Ride-Parkplatz
„Von Gott reden an alltäglichen Orten“ heißt diese besondere Aktion des Evangelischen Dekanats Vorderer Odenwald im 500. Reformationsjubiläumsjahr. Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeitende haben am frühen Morgen auf dem Parkplatz einen Pavillon auf aufgestellt, flankiert von EKHN-Fahnen, sie haben Kannen mit Kaffee und Teewasser, Milch, Zucker und Becher bereitgestellt und sogar einen kleinen Altar mit Kreuz, Bibel und Kerze auf einem Klapptisch aufgebaut. Pfarrer Ruff-Kapraun, Pfarrerin Silvia Rollmann, Annette Claar-Kreh, Andrea Alt, Anne Fette und Wolfgang Kettler möchten mit den Menschen am Bahnhof ins Gespräch kommen über Gott und die Welt, hören, wie sie die Woche beginnen, was sie bewegt.
Und sie erfahren viel in diesen kurzweiligen Begegnungen am Bahnsteig, die getaktet sind von den ankommenden und abfahrenden Zügen. Da ist der Mann, der in den frühen Morgenstunden seine Reise nach Asien beginnt. Da ist die Frau etwas über 50, die fünf Kinder zwischen 9 und 19 Jahren hat, eine Pflegeausbildung macht und an diesem Morgen eine Klausur schreibt. Am Wochenende hat sie noch mit ihren jüngsten Kindern Kommunion gefeiert. Sie freut sich über die guten Wünsche, die ihr mit auf den Weg gegeben werden. Genauso wie eine junge Frau, bei der sich an diesem Morgen entscheidet, ob sie eine Ausbildung in der Werbeagentur machen kann, in der sie gerade ein Praktikum absolviert.
Ein junger Mann hört Musik, bevor er sich ins Gespräch verwickeln lässt und gerne einen Kaffee annimmt. Er fährt nach Dieburg, wo er in der Förderschule für Menschen mit Behinderung ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Er kann die Gebärdensprache, seine Eltern sind gehörlos. Er wolle Informatik oder Chemie studieren, erzählt er. Zuvor habe er sich jedoch eine Auszeit gönnen wollen. Auch ihm gefällt es, mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen. „Ich bin generell ein offener Mensch“, sagt er lächelnd.
Zwei Schulklassen und eine Kindergartengruppe
Aus den Pappbechern dampft der Kaffee. Es ist so kalt, dass beim Reden kleine Wölkchen aus dem Mund kommen. Doch viele möchten keinen Kaffee, haben zu Hause schon einen getrunken. Ein Merckianer erzählt, dass er zwei Kinder hat, im Labor arbeitet und ihm die Arbeitszeiten gefallen. Ein junger Mann hat gerade seinen Master gemacht und schon einen Job in der Tasche. Anders als bei der Frau über 50, die einen befristeten Vertrag hat und bangt, ob sie ihre Arbeitsstelle behalten kann. Durch Annette Claar-Kreh hören sie voneinander und kommen miteinander ins Gespräch übers Alter und unterschiedliche Chancen.
Auf beiden Seiten fahren die Züge im Halbstunden-Takt. Der Parkplatz füllt sich mit Autos, je weiter sich die Zeiger der Bahnhofsuhr vorwärts drehen. Die Sonne steigt höher und beginnt zu wärmen. Die vierte Klasse einer Grundschule fährt nach Darmstadt, um das Müllheizkraftwerk zu besichtigen. Eine andere Schulklasse kommt an und geht zu Fuß nach Münster zum Filmgucken im Kaisersaal. Eine Gruppe des Evangelischen Kindergartens Altheim besucht die Polizei in Darmstadt. Anne Fette spricht lange mit einer Mutter, die am liebsten mit zur Polizei gefahren wäre. Im Alter von zwölf Jahren sei sie aus Pakistan nach Deutschland gekommen und immer noch dankbar, in Deutschland leben zu dürfen. Sie staune, wie viel Armut und Reichtum es hier gebe und verstehe nicht, warum sich viele Menschen so sehr auf Geld fixierten. Die Mädchen und Jungen spielen derweil Fangen um den Altar. Dann kommt die Bahn. Es wird ruhig auf dem Park-und-Ride-Parkplatz. Die meisten Pendler sind längst auf der Arbeit. Nach drei Stunden und elf Zügen werden Kaffee, Tisch, Fahnen, Altar und Pavillon wieder eingepackt.
„Von Gott reden an alltäglichen Orten“ geht weiter: Die zweite Aktion findet am Samstag, 17. Juni, 9 Uhr, auf dem Flohmarkt des BUND in Groß-Umstadt statt. Das Thema dort: Suchen und Finden. Bei der dritten Aktion am Montag, 4. September, 8.30 Uhr, im Landratsamt Dieburg geht es ums Warten.
(Text/Foto: S. Rummel)
Kommentare