Wanderklub „Berg auf“: Das Gedicht als die größte Freiheit im engstem Raum

Uwe Friedrich, wie er konzentriert und mit viel Gefühl Gedichte aus allen Epochen vortrug, ließ zum bereits sechsten Mal „Kino im Kopf“ entstehen. Das Wanderheim war bis auf den letzten Platz besetzt und in den Gesprächen nach der Veranstaltungen wurden bereits Pläne für ein nächstes Mal geschmiedet.

Mit diesem Zitat vom neuzeitlichen Dichter Jan Wagner eröffnete Uwe Friedrich den nunmehr sechsten Abend der Reihe „Kino im Kopf“. Jan Wagner wurde nur wenige Tagen zuvor von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Georg-Büchner-Preis zuerkannt und somit startete der Abend mit sehr aktuellen Worten in sein viele Epochen umfassendes Programm.

In mehrere Themen-Blöcke unterteilt führten der Rezitator Friedrich mit seinen Gedichten und die Musikerin Renata Ding mit auf verschiedenen Flöten vorgetragenen Liedern eine Art Zwiegespräch. Passend zur Stimmung der Gedichte und Lieder wechselte Ding virtuos zwischen fünf verschiedenen Blockflöten und zwei Querflöten und konnte in ihren kurzen einführenden Worten auch gleich noch Instrumentenkunde vermitteln.
Im übervoll besetzten Wanderheim in der Sackgasse lauschte man den Gedichten vom „Wandern und der Natur“ ganz besonders aufmerksam, wenn Uwe Friedrich mit den Worten Theodor Storms, Siegfried von Vegesacks und Hermann Hesses um Achtsamkeit für die Schönheiten der Natur warb. Der Bogen spannte sich über „Herbst und Winter“ zu den „Vier Jahreszeiten“ und wurde von der Flötistin Ding gekonnt auf der Alt- und der Sopranblockflöte ergänzt. Das wohl älteste Gedicht des Abends stammt von einem unbekannten Dichter und wurde in einer Handschrift aus dem Jahre 1467 überliefert. Dem 500 Jahre alten „Verschneiten Weg“ folgte ein „Schnuppe“ aus der Feder Kurt Schwitters, das dem Dadaismus zuzuordnen ist. „Syrinx“ von Claude Debussy war die musikalische Antwort, die Ding mit ihrer Altquerflöte gab, für die sie sich zwischen den Zuhörern stehend erst etwas Platz schaffen musste. Fast zärtlich mutete die Beschreibung von Vegesacks an, wie er die Details von „Moos“ beschrieb, liebevoll vorgetragen mit leiser Stimme. Die sanften irischen Weisen, die Ding folgen ließ, waren wie dafür geschrieben.
Beim Thema „Liebe und Leben“ konnte Friedrich aus dem Vollen schöpfen und trug mit mal leiser und mal donnernd-gewaltiger Stimme Gedichte von Detlev von Liliencron, über Klabund, Ricarda Huch und Bertolt Brecht bis zur neuzeitlichen Lyrik von Sarah Kirsch vor. Das ganz helle Stimmchen einer Sopranino-Blockflöte war die Antwort mit einem barocken Stück von Antonio Vivaldi. Nach einem einzeln für sich stehenden Gedicht von Rainer Maria Rilke folgte das einmalige Stück „Amazing Grace“ auf der Sopranblockflöte.
Gäste, die als Freunde der Familie des Dichters Siegfried von Vegesack aus Hanau angereist waren, stellten in der Pause sogar familiäre Bande zu einem der anderen Dichter des Abends offen: Robert Gernhardt. Verena und Hans-Jürgen Weiss waren mit ihrem Sohn und dessen Lebensgefährtin als Ersatz für den verhinderten Gotthard von Vegesack gekommen, dem Enkel und Rechteverwalter des Dichters von Vegesack. Der Notar Uwe Friedrich hatte bei ihm vorbildlich die Erlaubnis zum Vortragen der Gedichte des Großvaters eingeholt und als Dankeschön eingeladen, dem Abend beizuwohnen. Wie auch alle anderen Gäste genoss Familie Weiss den kulturellen Ohrenschmaus, der tatsächlich „Kino im Kopf“ entstehen ließ.
Die lauteren Gedichte des Abends, die aus den Federn von Tucholsky und Grass stammten, wurden durch „Ragtime“ von Scott Joplin eingeleitet und Wolf Biermanns „Lied vom donnernden Leben“ mit einer schwungvollen irischen Polka. Ruhig und melancholisch kamen die Gedichte Gernhardts daher, die in den letzten Jahren seines Schaffens entstanden sind. Gegen Ende wurde es tierisch mit Prokofjews „Peter und der Wolf“, dabei kam eine etwas weniger sperrige Querflöte zum Einsatz und nach der „Eule“ des Jan Wagner, gaben sich „Schnecken“ und „Hahnenschrei bei Mondenschein“ ein Stelldichein. Zum Abschied blies Renata Ding einen Auszug aus der „Kleinen Nachtmusik“ von Mozart auf ihrer Tenorblockflöte.
Bei so vielen schönen Worten fehlten der Vorsitzenden Inge Herbich die Worte, als sie sich bei Uwe Friedrich und Renata Ding mit Blumen für den schönen Abend bedankte.
Natürlich gab es noch eine kleine Zugabe, bei der Uwe Friedrich beim Gedicht „Sie saßen und tranken am Teetisch…“ stimmlich in verschiedene Rollen schlüpfte und mit minimal, aber exakt platzierter Mimik das gesprochene Wort unterstrich. Ein Hochgenuss für die Zuhörer, den Engelbert Humperdincks Abendsegen aus „Hänsel und Gretel“ auf der Tenorflöte vorgetragen perfekt abrundete.     kb

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